Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Stück Wurst, mal eine angebrochene Flasche Wein.«
»Kein Schmuck? Kein Geld?«
Frau Berhenne schüttelte den Kopf. »Manchmal behauptete sie sogar, es sei etwas weggekommen, während sie geschlafen hatte. Ihr teures Parfüm, die Pralinen, die sie sich immer aus Brüssel kommen lässt, ihr Terracotta-Puder, ohne den sie nicht aus dem Haus gegangen ist. Einmal hat sie sogar behauptet, das Glas Wasser, das auf ihrem Nachttisch stand, sei in der Nacht ausgetrunken worden, und ihr Roman, in dem sie vor dem Einschlafen gelesen hat, sei verschwunden gewesen.« Sie sah Erik verlegen an. »Natürlich habe ich ihr kein Wort geglaubt. Sie war vergesslich geworden und wollte es nicht wahrhaben, so war’s.«
Erik nickte bestätigend. »Warum sollte auch jemand in ihr Haus einsteigen und ein Stück Wurst mitnehmen?«
»Vor allem, wenn eine teure Fotokamera daneben liegt«, ergänzte Frau Berhenne. »Mathis hatte als Einziger einen Schlüssel. Aber so schlecht geht es ihm nun auch wieder nicht, dass er seiner Tante ein Stück Wurst klauen muss oder eine angebrochene Flasche Wein. Nein, Magdalena wurde tüdelig, obwohl sie noch keine sechzig war. Ich habe mich oft gefragt, wann sie wohl vergessen wird, den Herd auszustellen, und dann einen Einbrecher dafür verantwortlich macht, dass ihr Haus abbrennt.«
Wenig später verabschiedete Erik sich und wurde von zwei Sommergästen zur Tür gebracht, die ihm mit sorgenvollen Mienen nachblickten. Vor dem Nachbarhaus ging er auf den Streifenpolizisten zu, der den Tatort bewachte. »Ist die Spurensicherung noch da?«
Der junge Beamte nickte. Erik fand Vetterich, der immer noch im Wohnzimmer mit der Durchsicht der Schränke und des Schreibtisches beschäftigt war.
»Die Tote war eine vermögende Frau«, brummte er. »In Westerland besaß sie ein Apartmenthaus, in Braderup zwei Villen, darüber hinaus ein Aktienpaket, das sich sehen lassen kann. Von ihrem Barvermögen ganz zu schweigen.«
Erik hatte nichts anderes erwartet. »Und sonst?«
Vetterich schüttelte den Kopf. »Auf den ersten Blick keine verdächtigen Spuren. Nur dieses eingeschlagene Fenster.«
»Sind Schränke durchwühlt worden?«
»Sieht nicht so aus. Bargeld haben wir in mehreren Schubladen gefunden, allerdings nicht viel. Und auch Schmuck. Aber keinen besonders kostbaren. Möglich, dass ein paar teure Klunker irgendwo rumlagen. Und eine dicke Brieftasche.«
»Also ein Raubüberfall?«
Vetterich sah Erik fragend an. »Wollen Sie wirklich meine Meinung hören?«
Erik nahm ihm die Antwort ab. »Okay, kein Raubüberfall. Einbrecher auf Diebestour gehen anders vor. Vor allem erschlagen sie nicht ohne Not eine schlafende Frau, die augenscheinlich nichts von dem Einbruch mitbekommen hat.«
»So ist es«, bestätigte Vetterich.
»Also vielleicht jemand, der den Anschein erwecken wollte, dass ein Einbruch begangen wurde? Um ein anderes Motiv zu verschleiern?«
Vetterich zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Seine Kommunikationsfreude, die ohnehin nicht besonders ausgeprägt war, hatte sich erschöpft.
Das Hotel Feddersen lag in der Nähe des Campingplatzes. Das machte das Haus nicht besonders attraktiv, denn in den Zelten und Caravans wohnten nicht die Syltbesucher, die später bei Gosch eine Auster schlürften oder mit ihrem Cabrio zur Sansibar flitzten. Früher hatte das Hotel wenigstens in einem großen Garten gestanden, doch nun gab es nur einen schmalen Grünstreifen rechts und links des Hauses. Den Rest seines Grund und Bodens hatte Mathis Feddersen seinen Nachbarn und dem Campingplatz überlassen. Dafür hatte er ein paar Tausend Euro bekommen, aber für eine gründliche Renovierung seines Hotels hatte das nicht gereicht.
Erik stolperte über eine Bodenplatte, die sich während des Frostes im letzten Winter angehoben hatte. In der Lobby blieb er stehen und ließ den Blick über die schäbigen Polstermöbel wandern, über den abgetretenen Läufer, die vergilbten Wände. Kein Zweifel, Mathis Feddersen konnte das Geld, das seine Tante ihm hinterließ, gut gebrauchen.
An der Rezeption stand ein junger Mann, den Erik schon einmal des Ladendiebstahls überführt hatte. Dass Mathis Feddersen ihn beschäftigte, zeigte, dass er seine Personalkosten so gering wie möglich hielt und dafür viele Nachteile in Kauf nahm. Erik war sicher, dass dieser junge Albaner für einen Hungerlohn arbeitete, weil ihn sonst niemand beschäftigte, und ebenso sicher war er, dass er den Rest seines Einkommens mit Diebstählen
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