Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
offenem Munde an, Tove ließ den Kaffeefilter sinken und suchte nach Worten.
Aber bevor er welche gefunden hatte, fuhr Fietje schon fort: »Ruhe und Bewegung sind die Atemzüge vom Sprachrhythmus. Sie muss mit ihnen atmen, dann wird sie etwas schreiben, was uns bewegt.« Fietje nahm den Blick aus seinem Bier und lächelte. »Wer hätte das gedacht, dass einem die Kenntnisse aus der Schule doch noch was nützen, auch wenn ich damals das Gymnasium geschmissen hab.«
Mamma Carlotta war viel zu beeindruckt, um zu lächeln. Und Tove war sogar derart fasziniert, dass er sich weigerte, Fietje ein weiteres Bier zu zapfen. »Für Klugscheißer ist in Käptens Kajüte kein Platz!«
Frau Berhenne führte im Winter ein eintöniges Leben, im Sommer profitierte sie dafür von vom Leben ihrer Feriengäste. Sie kannte die Familienverhältnisse jedes Einzelnen, der mal bei ihr gewohnt hatte, und brüstete sich gern damit, dass beinahe jeder, der einmal ein Apartment in ihrem Hause bezogen hatte, ein zweites und drittes Mal gekommen war. So hatte sie sich im Lauf der Jahre eine Art Ersatzfamilie erschaffen, ohne dass die einzelnen Mitglieder dieser Familie etwas davon ahnten. Von gleichaltrigen Feriengästen sprach sie wie von Geschwistern, die sie nie gehabt hatte, von deren Nachkommen wie von eigenen Kindern, die sie ebenfalls nie gehabt hatte, und von dem alleinreisenden Lehrer, der die Herbstferien bei ihr verlebte, wie von einem Geliebten, den sie selbstredend auch nie gehabt hatte.
Als Erik an ihrer Tür klingelte, wurde ihm von einer jungen Frau geöffnet, die sich als Feriengast vorstellte und ihn in Frau Berhennes Wohnzimmer führte, wo sich zwei weitere Gäste um die verstörte Zimmerwirtin kümmerten.
Erik schickte sie hinaus und schloss behutsam die Tür, dann setzte er sich Frau Berhenne gegenüber und bat sie mit sanfter Stimme, zu erzählen, was geschehen war.
Frau Berhenne schilderte zunächst lang und breit das gute Nachbarschaftsverhältnis, das sie mit Magdalena Feddersen gepflegt hatte. Erik ließ sie reden, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und nickte aufmerksam, als Frau Berhenne ihm erklärte, dass Magdalena Feddersen ein ähnliches Leben geführt hatte wie sie: Auch sie war alleinstehend und hatte keine Kinder, im Gegensatz zu Frau Berhenne jedoch war sie nie verheiratet gewesen. Magdalena Feddersen hatte es nicht nötig gehabt, an Feriengäste zu vermieten, auch das unterschied sie von Frau Berhenne. Die war jedoch ohne Neid.
»Ich möchte auf die Bekanntschaft mit meinen Gästen nicht verzichten.« Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Magdalena hatte im Gegensatz zu mir eine wirkliche Familie, während ich nicht einmal einen Neffen habe.«
»Mathis Feddersen?« Erik fand, dass er ihr genug Zeit gelassen hatte, um auf den Punkt zu kommen. »Wie war das Verhältnis der Toten zu ihrem Neffen?«
Frau Berhenne dachte kurz nach. »Früher war es nicht gut«, begann sie zögernd. »Mathis war wütend auf seine Tante, weil sie auf dem Aktienmarkt viel Geld gemacht hatte, während er damals alles verlor.« Sie strich mit einer theatralischen Bewegung ihre graue Dauerwelle glatt. »Dabei hatte sie ihn gewarnt. Er könnte nur böse auf sich selbst sein. Aber das hat er ja irgendwann auch eingesehen.«
»Tante und Neffe hatten also ein gutes Verhältnis?«
»Seit einiger Zeit«, nickte Frau Berhenne. »Mathis hat sich bei seiner Tante entschuldigt. Er hat eingesehen, dass er ihr Unrecht getan hatte.«
»Und Valerie Feddersen?«
»Mit der hat Magdalena nie was am Hut gehabt. Die beiden sind sich immer aus dem Weg gegangen. Damals wie heute.«
»Kam es häufiger vor, dass Mathis Feddersen seine Tante zum Frühstück besuchte?«
Frau Berhenne nickte, dann erhob sie sich, weil ihr einfiel, dass der Schock, den sie erlitten hatte, mit einem kleinen Schnaps leichter zu ertragen war. »Mögen Sie auch einen Aufgesetzten? Mein Hein hat immer gesagt, der hilft bei allem. Ob der beste Freund ertrunken ist oder ob der beste Freund Vater geworden ist.«
Erik lehnte dankend ab und sah geduldig zu, wie Frau Berhenne sich einen Aufgesetzten einschenkte, ihn runterkippte und sich schüttelte, als hätte sie eine bittere Medizin eingenommen. Währenddessen wurde vor der Tür darüber beratschlagt, wer bereit sei, auf einen Tag am Strand zu verzichten, damit Frau Berhenne in ihrem Schmerz nicht allein bleiben müsse.
Sie setzte sich wieder, augenscheinlich gestärkt und sogar ein wenig getröstet. »Ein-,
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