Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
anzusehen, für den Fall, dass sie sich bei anderer Gelegenheit in das Heer der Stammgäste einreihen wolle. Damit war der zweite Schritt getan. Mamma Carlotta wurde ins Haus gelassen und konnte hoffen, das Gespräch mit Frau Berhenne dorthin zu lenken, wo sie es haben wollte. Tatsächlich war es nicht schwer, die Sprache auf die schrecklichen Mordfälle im Nachbarhaus zu bringen.
Frau Berhennes Seufzen war mittlerweile gut eingeübt. »So eine Tragödie! Und jetzt noch eine Tote! In Magdalenas Haus! Dass es die Frau eines Prominenten ist, habe ich ja erst erfahren, als es im Risgap plötzlich nur so wimmelte von Reportern.«
Mamma Carlotta sinnierte daraufhin über die bedenkliche Moral der Journalisten im Allgemeinen und deren verhängnisvolle Neigung, die Wahrheit mit ein paar Übertreibungen interessanter zu machen.
Frau Berhennes Seufzen wollte kein Ende nehmen. »Sie sagen es! Nun ist die ganze Nachbarschaft beunruhigt wegen der Einbrüche, von denen das Inselblatt geschrieben hat. Dabei habe ich ausdrücklich gesagt, dass Magdalena zwar behauptet hat, bei ihr wäre eingebrochen worden, dass ich es aber nicht geglaubt habe. Magdalena wurde tüdelig und wollte es nicht wahrhaben – so habe ich es gesagt. Aber das war dem Inselblatt wohl nicht spektakulär genug.«
Nun war die Besichtigung des Hauses zwar beendet, aber Mamma Carlotta bekam, worauf sie gehofft hatte: das Angebot, bei einem Gläschen die reizende Unterhaltung zu Ende zu führen. Worauf sie nicht gehofft hatte, war das rote Getränk, das Frau Berhenne in Schnapsgläschen goss und das Mamma Carlotta mit größtem Argwohn erfüllte.
»Aufgesetzter!«, erklärte Frau Berhenne. »Selber gemacht! So was gibt’s bei Ihnen in Italien nicht.«
Da hatte sie zweifellos recht. Mamma Carlotta probierte zögernd und war dann angenehm überrascht. So angenehm, dass sie sich einen zweiten einschenken ließ, weil man ja auf einem Bein nicht stehen konnte.
»Warum sollte ein Dieb«, fragte Frau Berhenne, »bei Nacht in ein Haus einsteigen, um eine angebrochene Flasche Wein zu stehlen? Oder ein Stück Wurst oder Käse?«
Mamma Carlotta schüttelte sich, wie sie es bei Frau Berhenne gesehen hatte, dann stellte sie das Schnapsglas zurück. »Das hat Ihnen Frau Feddersen erzählt?«
Frau Berhenne nickte. »So ein Quatsch, habe ich zu ihr gesagt. Aber sie blieb dabei. Auch als ein paar ihrer Brüsseler Pralinen verschwanden, hat sie behauptet, sie wären gestohlen worden.«
Carlotta starrte sie an, während sich die Gedanken in ihrem Kopf drehten. Brüsseler Pralinen! Sie spürte noch den samtigen, weichen Geschmack auf der Zunge, die herbe Süße, die milde Bitterkeit. Wo hatte sie kürzlich eine Brüsseler Praline gekostet?
»Sogar ihr teures Parfüm war angeblich gestohlen worden!«, fuhr Frau Berhenne fort. »Bevor Magdalena nach Westerland zum Kurkonzert fuhr, hatte sie es angeblich benutzt. Ebenso wie ihren Terracotta-Puder. Als sie zurückkam, war beides nicht mehr da.«
Mamma Carlotta wehrte sich nicht, als Frau Berhenne behauptete, aller guten Dinge seien drei, und ihr Glas erneut füllte. »Wissen Sie, was es für ein Parfüm war?«, erkundigte sie sich und hoffte, dass Frau Berhenne sich nicht über diese Frage wunderte.
»Ich weiß nur, dass es von Nina Ricci war. Unsereins kann sich so was ja nicht leisten.«
Carlotta kippte den dritten Aufgesetzten mit einer schnellen Bewegung hinunter, wie Frau Berhenne es getan hatte, die darin anscheinend Übung hatte. Dann war sie froh, dass es für den vierten keinen passenden Spruch mehr gab. Schwankend erhob sie sich, bedankte sich und versicherte, dass ihr nächster Urlaub sie ins Haus Berhenne führen würde. Das schlechte Gewissen, das bei ihr anklopfte, verwies sie an den Aufgesetzten.
Sie beschloss, vernünftig zu sein und ihr Fahrrad zu schieben, bis in das Durcheinander in ihrem Kopf, das die Aufgesetzten verursacht hatten, wieder Ordnung gekommen war. Warum hatte Valerie die Gegenstände, die sie Magdalena Feddersen gestohlen hatte, zu Gero Fürst getragen? Auf dessen Regalbrett hatte Mamma Carlotta schließlich die Pralinen, das Parfüm und den Puder gefunden. Im Haus des Schriftstellers waren vermutlich auch die Wurst, der Käse und der Wein gelandet. Verzehrt von einem ahnungslosen Literaten, der nicht wissen konnte, dass er gestohlenes Gut zu sich nahm.
Versuchsweise kreuzte sie das linke Bein über das rechte, setzte den linken Fuß aufs linke Pedal, stieß sich mit dem rechten Fuß ab
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