Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Foto aus dem Album gerissen!«, schrie Felix empört. »Wenn ich das mache, gibt’s jedes Mal Stress!«
Aber aus der Küche kam keine Reaktion. Mamma Carlotta rückte ihren Stuhl näher an Carolin heran und griff nach ihrer Hand. »Was ist los, Carolina? Dich bedrückt etwas, das sehe ich doch.«
Sie hatte mit Carolins Widerstand gerechnet, damit, dass sie mit den Schultern zucken und behaupten würde, es sei nichts. Aber Carolin nickte tatsächlich, ohne zu zögern, und sagte: »Das ist alles so unheimlich.«
»Was denn, um Himmels willen?« Mamma Carlotta nahm die Zeitung von Carolins Teller, damit ihre Enkelin endlich den Blick hob und sie ansah. In Carolins Augen stand so viel Fassungslosigkeit, dass Mamma Carlotta das kalte Grauen überlief. »Madonna! Was ist geschehen?«
Carolin konnte nur flüstern: »Diese Einbrüche! Auch die hat Gero Fürst in seinem Roman beschrieben. Die leibliche Tochter ist, bevor sie ihre Mutter umbrachte, häufig in ihr Haus eingestiegen, um sie besser kennenzulernen. Sie hat ihr alltägliche Gegenstände weggenommen, hat den Wein ausgetrunken, den ihre Mutter eingeschenkt hatte, hat das Brot gestohlen, von dem ihre Mutter gegessen hatte, die Wurst oder ein Stück Käse. Und sie hat das Buch gelesen, in dem ihre Mutter geblättert hatte. Sie wollte sich mit ihrer Mutter auseinandersetzen, aber nicht Gefahr laufen, sie zu mögen, sie am Ende sogar zu lieben. So hat Gero Fürst es beschrieben. Sie wollte nur etwas wissen von der Frau, die sie geboren hat, und ihren Hass auf sie stärken. So lange, bis er so groß war, dass sie sich rächen konnte.«
»Und dann hat sie die Mutter erschlagen«, flüsterte Mamma Carlotta.
Sören klappte sein Handy zusammen. »Die Münchner Kollegen warten natürlich auf den Durchsuchungsbeschluss. Aber sie bereiten schon mal alles vor.«
Erik nickte schweigend. Als sie am Dorfteich entlangfuhren, drosselte er die Geschwindigkeit. Vielleicht, weil er sich vor dem fürchtete, was im Hotel Feddersen auf ihn wartete, vielleicht, weil der Friedhof in Sicht kam, vielleicht auch nur, weil die ersten Stunden des Tages in der Hochsaison besonders kostbar waren. Wenn die Feriengäste erst die Straßen bevölkerten und in Blechlawinen zu den Dünen rollten, dann hatte Sylt viel von dem verloren, was die meisten Touristen leider nicht auf der Insel suchten.
Mathis stand an der Rezeption und sah ihnen entgegen, als gehörten sie zum Berufsstand der Gerichtsvollzieher. Aus einem angrenzenden Raum drang Kaffeeduft, Geschirrgeklapper und das Lachen und Plaudern der Hotelgäste. Offenbar hatte Mathis derzeit wenigstens einige Zimmer vermietet.
»Alles klar bei dir?«, fragte Erik leise. »Oder hast du Ärger mit der Presse?«
»Jetzt nicht mehr, aber ich musste sehr deutlich werden«, gab Mathis zurück. »Anscheinend haben die Reporter nun endlich begriffen, dass ich Donata Zöllners Zimmer nicht öffnen und zum Fotografieren freigeben werde.«
Erik nickte zufrieden. »Hast du überhaupt noch Zeit, die Sylter Lümmel zu trainieren?«
Mathis sah auf die Uhr. »Ich hoffe, dass ich pünktlich auf den Fußballplatz komme. Die Jungs wollen unbedingt gegen die Husumer gewinnen. Denen kann ich nicht mit meinen Problemen kommen.«
Noch einmal lächelte Erik, diesmal sollte sein Lächeln Dankbarkeit und Anerkennung ausdrücken. »Ich muss Herrn Dogas sprechen«, sagte er dann. »Und die Staatsanwältin auch. Aber Dogas hat sein Handy abgestellt …«
»Weil er noch schläft«, warf Mathis ein.
»… und die Handynummer von Frau Dr. Speck habe ich nicht. Die gibt sie nur den Mitarbeitern ihres Vertrauens. Wenn du so nett sein könntest, die beiden zu wecken?«
Mathis sah ihn an, als hätte Erik von ihm verlangt, sich für einen Nahkampf zu rüsten. »Bist du verrückt?«, stieß er hervor. »Frau Dr. Speck – okay! Die ist im Dienst und sollte um acht eigentlich bei der Arbeit sein. Aber Dogas? Nein! Der hat mich schon gestern Abend zur Schnecke gemacht, weil er nicht in das versiegelte Zimmer seiner Frau kam.«
»Was wollte er dort?«
»Eine Gedenkminute einlegen, hat er gesagt, seiner Frau noch einmal ganz nahe sein.«
Erik beugte sich an Sörens Ohr. »Oder alles Verräterische verschwinden lassen«, flüsterte er. Laut sagte er zu Mathis: »Schick Fatlum hoch, wenn du es selbst nicht tun willst. Oder eins der Zimmermädchen. Aber schärf ihnen ein, dass sie sich nicht abwimmeln lassen sollen.« Da der Zweifel noch immer nicht aus Mathis’ Gesicht
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