Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
seines Trupps und zog eine zweite Linie parallel zu der ersten in den Boden. »Wer möchte mir nun denn wirklich folgen, um diese beiden Flüchtlinge für ihre Vergehen zur Rechenschaft zu ziehen?«
Zu seiner Überraschung war Thorir der Erste, der die Linie überquerte. Ragnar nickte und klopfte ihm auf die Schulter. »Danke, Sohn.« Thorirs Gesichtsausdruck glich dem einer Katze, die heimlich aus der Milchkanne getrunken hatte, und Ragnar fragte sich, was der Grund für den Eifer seines Schwiegersohns war. Was hast du vor, Junge, außer dich bei mir einzuschleimen?
Einer nach dem anderen folgten die anderen Männer Thorirs Beispiel.
»Gut«, sagte Ragnar, jetzt wieder lächelnd. »Dann nehmen wir also den Weg durchs Gebirge.«
Die Männer ritten weiter.
Ragnar lenkte sein Pferd neben das von Orn. »Die Situation, in der wir uns hier befinden, ist so ähnlich, als wären wir in einem Krieg, Freund. Und diejenigen, die sich weigern, ihrem Befehlshaber in die Schlacht zu folgen, nennt man im Krieg gemeinhin Meuterer. Vergiss nicht, wie jede Armee mit Meuterern umgeht. Es wäre also nicht besonders ratsam, mich wütend zu machen, wenn wir über das Dach der Welt reiten. Ich neige in großer Höhe nämlich immer dazu, ziemlich schnell die Beherrschung zu verlieren. Verstanden?«
»Oh, ich verstehe dich sehr gut, Ragnar«, versicherte Orn. »Besser, als du es dir vorstellen kannst.«
Ein gutes Stück vor Ragnars Gruppe ritten Karl und Bera in zügigem Tempo immer tiefer in die Wüste hinein. Um sie herum herrschte Stille, als wäre die Welt ein auf der Lauer liegendes Tier. Karl, der seinen Blick ständig umherwandern ließ, wurde erst allmählich bewusst, wie ausgedörrt das Land tatsächlich war, so langsam und beinahe unmerklich hatte es sich verändert. Es ist wie ein Schwamm, dachte er. Wie viele Schneeflocken den Boden auch immer erreichen mögen, er saugt jedes Quäntchen Feuchtigkeit gierig in sich auf. Er räusperte sich. »Haben wir irgendetwas dabei, womit wir eine Grube abdecken können?«, fragte er.
Bera hatte den ganzen Morgen über kaum etwas gesagt und Karls gelegentliche Fragen meistens nur mit einem Nicken oder Kopfschütteln beantwortet. Diesmal räusperte sie sich ebenfalls, bevor sie antwortete: »Irgendetwas müssten wir eigentlich haben. Warum?«
»Gut. Vielleicht können wir damit über Nacht ein bisschen Wasser destillieren.« Es war der erste Morgen, an dem sie weder einen Bach, noch einen Tümpel oder irgendeine andere Wasserquelle gesehen hatten, aus der sie das halbe Dutzend der von Bera aus Skorradalur entwendeten Plastikflaschen hätten auffüllen können.
Dem Kosmos sei Dank, dass sie die Flaschen eingepackt hat, dachte Karl. Ich hätte garantiert nicht daran gedacht.
Bisher hatten sie ihre Vorräte stets aus kleinen Bächen ergänzen können. Gestern Abend waren sie zum ersten Mal auf keine neue Wasserquelle gestoßen, aber da ihn sein kleines Kunststück mit dem Lagerfeuer so sehr abgelenkt hatte, wurde er sich der Bedeutung des Wassernachschubs erst jetzt richtig bewusst.
»Können wir damit denn genug Wasser destillieren?«, fragte Bera.
»Ich weiß es nicht.« Vermutlich nicht, auch wenn er für einige Zeit seine Nanophyten dafür benutzen konnte, Was ser aus jeder Form von Nahrung zu gewinnen, die er zu sich nahm. Allerdings würde der Schaden, den er ihnen – und sich selbst – damit langfristig zufügte, noch größer werden, als er es durch die ihnen aufgezwungene ständige Neukonfiguration ohnehin schon war. Er fühlte sich durch die bisher vorgenommenen kleineren Veränderungen und vor allen Dingen durch den gestern erfolgten Verlust an Nanophyten bereits ein wenig benommen, woran auch die schwachen Sonnenstrahlen, die hin und wieder durch die Wolkendecke fielen, nicht viel ändern konnten.
Du bist kein Supermann, ermahnte ihn Loki. Du bist zwar widerstandsfähiger als Bera und kannst dich der Situation anpassen, indem du von deiner eigenen Körpersubstanz zehrst, aber ich möchte nicht zusehen müssen, wie du stirbst und mich dadurch handlungsunfähig machst – oder schlimmer noch. Ich vermute, dass dein Tod auch meinen zur Folge hätte.
Vermutlich, gab Karl stumm zurück. »Wie auch immer, es muss nicht so weit kommen«, sagte er laut. »Wahrscheinlich finden wir schon hinter dem nächsten Hügel einen Bach.« Er war sich nicht ganz sicher, wen er damit zu beruhigen versuchte, Bera, Loki – oder sich selbst.
Ich kann deine Behauptung, dass es vor uns eine
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