Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
zurückwich, legte er seine Hand auf die ihre, die sie zur Faust geballt hatte. Selbst nachdem sie sie wieder geöffnet hatte, nahm sie sich in seiner Hand immer noch geradezu winzig aus. »Auch wenn du vielleicht den Eindruck gewonnen hast, dass ich dich als eine wandelnde Enzyklopädie betrachte, habe ich nicht eine Sekunde lang vergessen, dass du ein Mensch bist.«
Die meiste Zeit waren sie schweigend geritten oder hatten hin und wieder ein paar kurze Sätze gewechselt, und so war sich Karl nicht sicher, ob Bera kein Interesse an einer echten Unterhaltung hatte, oder ob sie nur nicht wusste, womit sie das Gespräch beginnen sollte. Da sie ihm auch diesmal keine Frage stellte, machte er einfach den Anfang. »Ich wohne im 109-ten Stock im Merlin Tower, von wo aus ich den Lake of the Lady Lionesse überblicken kann. Avalon, unsere Stadt, befindet sich ungefähr 50 Kilo meter hoch über der Oberfläche des Planeten, der ebenfalls Avalon heißt. Der Wind an der Oberfläche ist fast so schnell wie der Schall. Dort unten ist es so heiß, dass Blei schmilzt, und der Luftdruck würde einem den Schädel wie eine Melone zu Brei zerquetschen. Deshalb suchen wir die Oberfläche auch nur ganz selten auf, zum Beispiel, wenn es einen Defekt in den ferngesteuerten Bergbaufabriken gibt.«
»Du … du wohnst in einer fliegenden Stadt?«
»In einer schwebenden Stadt«, sagte Karl lächelnd. Er genoss Beras verblüfften Gesichtsausdruck. »Die Stadt verfügt über riesige Heliumballons, die leichter als die Luft sind und Avalon zusammen mit den Nullifizierern – die so eine Art eingeschränkte Antigravitation erzeugen – oberhalb der Wolken halten.«
Eine der Sonnen – Karl wusste nicht, ob es Gamasol oder Deltasol war – lugte zwischen einer Wolkenlücke hervor, und sofort drehte er das Gesicht in die Richtung ihrer Strahlen.
»Du erinnerst mich selbst manchmal ein bisschen an eine Echse«, sagte Bera, und zum ersten Mal an diesem Morgen wirkte ihr Lächeln ungezwungen, wenn auch ein bisschen traurig. »So, wie du im Sonnenlicht badest.«
»Das ist ein seltenes Ereignis für mich.« Karl lächelte zurück. »Auf Avalon bekommen wir kaum einmal Sonnenlicht in dieser Form zu sehen. Delta Pavonis verbirgt sich meistens hinter dichten Wolken, und wenn wir dann doch einmal Sonnenlicht abbekommen, ist es so, als würde man uns eine Aufladung im Eiltempo verpassen – zack!«
Bera kicherte, ohne dass die Trauer in ihrem Gesicht verschwand. »Ist dir nicht kalt?«, fragte sie.
»Heute ein bisschen, was allerdings hauptsächlich daran liegt, dass die Nanophyten die Priorität darauf legen, sich wieder zu vermehren, aber im Wesentlichen regulieren sie meine Körpertemperatur.« Karl erschauerte theatralisch. »Aber ich kann ein bisschen Kälte ertragen.«
Eine Weile ritten sie schweigend weiter.
»Warum bist du so traurig?«, fragte Karl schließlich.
»Ich habe darüber nachgedacht, wie einfach es doch ist, dich nur als einen seltsam aussehenden Mann zu betrachten, der sich verzweifelt danach sehnt, nach Hause zurückzukehren …«
»Was ja auch zutrifft.«
»Warum? Findet bei der Geburt des Babys eine besondere Zeremonie statt?«
Karl schüttelte den Kopf. »Es ist ein so seltenes Ereignis, wer möchte das schon verpassen? Wir haben jahrelang darauf gewartet. Und ich vermisse sie alle. Es ist meine Familie. Ich habe gedacht, dass gerade du das verstehen könntest.«
»Das tu ich«, versicherte Bera. »Deshalb fällt es mir ja auch so leicht, mir vorzustellen, dass du genau wie wir bist. Aber dann sagst oder tust du irgendetwas, das mir schlagartig wieder klarmacht, wie fremdartig du doch letztlich bist. Du bist wahrscheinlich so sehr daran gewöhnt, Menschen von anderen Planeten zu treffen, dass du keinen zweiten Gedanken daran verschwendest, wie unterschiedlich ihr seid, aber für uns ist das etwas völlig anderes.«
»Und jetzt ist dir klar geworden, dass du dein Leben einem Mann anvertraut hast, bei dem du immer damit rechnen musst, dass er alles Mögliche sagen oder tun könnte, ganz egal, wie fremdartig es dir auch erscheinen mag«, stellte Karl fest.
Sie warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. »Du machst schon wieder diese Sache mit dem Gedankenlesen.«
»Ach was.« Karl lächelte. »Mein Leben wäre schon sehr viel leichter, wenn ich wirklich Gedanken lesen könnte. Nein, aber ich hatte den ganzen Morgen über Zeit, nachzudenken, zum Beispiel darüber, wie taktlos ich mich dir gegenüber verhalten habe. Wofür
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