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Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Titel: Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Harvey
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und dann isst du Stroh oder halb verrottete Holzstücke von den Stützpfosten, wenn du in der Scheune bist, und draußen im Freien Gras oder sogar Erde. Die Maden und Larven in der Erde schmecken gut, stellst du fest. Allmählich stolperst du immer länger in der Scheune herum. Deine Beine fühlen sich immer noch wacklig an, aber dein Körper wird mit jedem Tag kräftiger. Dein Verstand ist dagegen nach wie vor fragmentiert. Da ist einmal der Teil, der Daten sammelt und bewertet, da bist du, und dann ist da noch der Andere.
    Und dann kommt der Morgen, an dem du erwachst und dich völlig anders fühlst. Die Schmerzen sind fort. Du bist klarer im Kopf, als du es seit … Du weißt nicht, wie viel Zeit vergangen ist, denn es kommt dir so vor, als hätten deine Füße gerade noch in Flammen gestanden, und im nächsten Moment bist du auch schon hier. Wo auch immer hier ist. Du liegst in einem dunklen Gebäude, das schwach nach Tieren riecht, auf einer Strohschicht. Die Gerüche scheinen sich überall so fest eingenistet zu haben wie die Schmutzflecken in den dunklen Holzstreben.
    Eine Frau, fast noch ein Mädchen, betritt die Scheune. Sie heißt Bera, wie dir sofort klar ist, obwohl du keine Ahnung hast, woher du das weißt. Du vermutest, dass dein interner Gefährte Daten gesammelt hat, während du … wo gewesen bist?
    »Gon t’ayn«, formt ihr Mund, bevor du den Blick abwenden kannst, und in deinem Kopf sagt ihre Stimme: »Guten Morgen.« Das Übersetzungsmodul wird schon bald synchron arbeiten – hoffst du jedenfalls –, aber bis dahin musst du sorgsam darauf achten, nicht auf ihre Lippen zu schauen, die den lokalen Dialekt artikulieren.
    »Gon t’ayn«, erwiderst du mit deiner viel zu tiefen Stimme und bemühst dich um eine brauchbare Aussprache. Beras Augen werden groß, und dann beginnt sie langsam und schüchtern zu lächeln.
    »Na, also das ist nun wirklich ein Fortschritt«, sagt sie. »Darüber wird Ragnar höchst erfreut sein, Loki.«
    »Wer ist Loki?«, fragst du verwirrt. Hast du vielleicht irgendetwas missverstanden? »Mein Name ist Karl. Karl Allman.«

4 Ragnar
    4 0 RAGNAR
    Ragnar hielt das Lamm in seinen Armen, während er den Blick durch das lange schmale Tal schweifen ließ, das Skorradalur bildete. Auf den flachen Hügeln am anderen Ende der kleinen Siedlung lag bereits eine erste dünne Schneeschicht, ein Vorbote des kommenden Winters. »Manchmal, Grensosa, mache ich mir so meine Gedanken über diese verdammten Trottel.«
    Er sah zu, wie Bera Loki – oder Karl, wie der Fremde jetzt von ihnen genannt werden wollte – über den Hof zur Küche führte. Sie gingen dicht nebeneinander her, jedoch ohne direkten Körperkontakt, soweit Ragnar das beurteilen konnte.
    Vor gerade einmal zwei Tagen war Bera aus der Scheune gestürmt und hatte laut schreiend verkündet, dass Loki erwacht war und sprechen konnte. Ragnar verzog das Gesicht, als er sich an seine erste Begegnung mit Allman erinnerte. Als er die Scheune betreten hatte, hatte der Fremde mit einem unverkennbar verwirrten Gesichtsausdruck ins Nichts gestarrt. Dann hatte er zu Ragnar aufgeblickt und war so angewidert zurückgezuckt, als hätte ihm jemand mit einem kotverschmierten Lumpen unter der Nase herumgewedelt.
    Ragnar hatte ein gutes Gedächtnis, und obwohl der Mann sich schnell wieder zusammengerissen und seine wahren Gefühle verborgen hatte, würde der Isheimurer ihm diesen Gesichtsausdruck nicht so schnell verzeihen oder ihn vergessen.
    Zwei Tage war das jetzt her, und der Fremde wurde mit jedem Tag kräftiger. Ragnar rieb sich die Hände. Er hatte Allman bereits dazu eingeteilt, Bera bei der Frauenarbeit zu helfen, und schon bald sollte der Fremde in der Lage sein, die Herden zusammen mit den Männern von den entferntesten Hängen hinunter nach Skorradalur zu treiben.
    Bis dahin erledigten Allman und Bera die körperlich leichteren Arbeiten und ermöglichten es den anderen Frauen dadurch, sich auf die Getreideernte zu konzentrieren. Die Ähren gediehen zwar nur spärlich und verkümmert auf den Halmen, aber sie waren immer noch besser als nichts und unverzichtbar für das Überleben der Gemeinde. Würden die Norns ihnen Erntemaschinen bewilligen, hätten Ragnars Leute das Getreide in einem Bruchteil der Zeit einholen können, aber sie hatten nie auch nur eine einzige Maschine erhalten.
    Orn der Starke kam gerade aus dem Schuppen, in dem er gewöhnlich die Gerätschaften der Siedlung reparierte, und Ragnar setzte das Lamm eilig wieder ab.

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