Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
gehäuft hatte. Er versuchte, einen Teil davon von seinem auf Beras Teller zu schieben, doch sie machte eine abwehrende Geste. »Lass mich dir etwas abgeben«, murmelte er verlegen und deutete auf ihren fast leeren Teller. »Ich habe mir viel zu viel genommen.«
»Du musst wieder zu Kräften kommen«, sagte sie.
Das Besteck, das Karl wie auch die anderen zum Essen benutzte, fühlte sich wie ein Fremdkörper in seinen Händen an. Er hatte jede Menge Zeit in seinem Schiff verbracht und sich daran gewöhnt, nur Sachen zu essen, die er direkt in die Hände nehmen konnte. Das eingelegte Gemüse war ziemlich sauer, schmeckte aber gut. Genau wie die grüne Soße, die zwar etwas ölig, aber so würzig war, dass ihm sein Mund zu klein erschien, um alle Geschmacksnuancen auskosten zu können.
»Gut?«, fragte Bera, die ihn beobachtete.
»Sehr gut.« Er schaufelte sich eine weitere Gabel Ragout in den Mund.
»Das sollte es auch. Wir haben das Lamm gerade erst frisch geschlachtet.«
Das Fleisch verwandelte sich in seinem Mund in einen ekligen Brei, doch irgendwie gelang es ihm, weiterzukauen und zu schlucken. »Das Essen stammt von einem Tier?« Er registrierte undeutlich, dass Hilda und Thorbjorg verstummt waren.
»Von einem kleineren Exemplar der Tiere, die du auf den Hügeln vor der Scheune gesehen hast«, sagte Bera. »Erinnerst du dich?«
Karl antwortete nicht, konzentrierte sich stattdessen auf das eingelegte Gemüse und versuchte, nicht daran zu denken, dass er soeben die Überreste eines noch bis vor Kurzem atmenden Lebewesens vertilgt hatte. Hast du tatsächlich geglaubt, sie würden die Tiere als Schmusetiere oder ihres hübschen Aussehens wegen halten?
»Und erinnerst du dich noch an gestern?«, fuhr Bera fort. »Da hast du selbst das Wort Schaf gesagt.«
»Was?«, fragte Karl verunsichert. »Da war ich gerade erst erwacht.«
Thorbjorg lachte. »Oh, Loki, du bist wirklich lustig.«
Hmm, dachte Karl, hier gibt es offenbar einige Missverständnisse auszuräumen.
Er sah, wie Ragnar mit Asgerd flirtete. Ihr heiteres Wesen schien den Gothi zu reizen; jedenfalls schenkte er ihr deutlich mehr Aufmerksamkeit als den anderen. Seine Vitalität wirkt unverkennbar anziehend auf die Frauen, dachte Karl und staunte über diese unerwartete Facette im Wesen eines Mannes, den er bisher nur als einen ungehobelten mürrischen Klotz wahrgenommen hatte.
»Kommst du wirklich von den Sternen?«, wollte Thorbjorg wissen. Sie wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern fügte hinzu: »Wenn ja, musst du sehr viele Dinge gesehen haben.«
»Wo sollte ich denn sonst herkommen?«, erwiderte Karl lächelnd. Er wollte nicht zu viel verraten, schließlich wusste er nicht, was Ragnar den anderen gesagt hatte. Es war nicht klug, wenn er seinen Gastgeber verärgerte, indem er sich zu viele Freiheiten herausnahm. »Nenn mich Karl.«
»Du könntest ja auch ein Bandit sein«, sagte Thorbjorg und hob die Lider. Sie zog die Lippen zu einem Grinsen zurück, das ihre Zähne entblößte und einen Mund voll Lammfleisch in grüner Soße zeigte, ein Anblick, der Übelkeit in Karl aufsteigen ließ.
»Ich würde wohl einen ziemlich unbrauchbaren Banditen abgeben, oder?« Er verdrängte den Gedanken an das Fleisch und grinste zurück. Nur niemanden vor den Kopf stoßen. »Wie ich gehört habe, hat man mich völlig nackt in einem Schneefeld gefunden.«
»Du könntest auch so eine Art Heiliger Narr sein«, bemerkte Bera nicht ganz ernsthaft.
»Was ist das?«
»So etwas wie ein Seher. Sie verfügen über ein Wissen, das sonst nur Gelehrte besitzen, sind aber völlig ahnungslos, was alltägliche Dinge angeht.«
»Hmm …«, machte Karl. Es verwirrte ihn, wie viel er über den Planeten wusste, ohne dass ihm die Datenmenge dabei half, Einzelheiten bezüglich der gesellschaftlichen Aspekte der Isheimurer zu verstehen. Alle Informationen, die das Schiff ihm überspielt hatte, mussten schon seit zwei Jahrhunderten veraltet sein.
Zum ersten Mal kam er sich wie das Alien vor, das er ja auch wirklich war, und ihm wurde schmerzlich bewusst, wie sehr er Karla und Lisane vermisste.
Anscheinend spiegelte sich seine Niedergeschlagenheit in seinem Gesicht wider, denn Bera fragte: »Bist du müde, Karl?«
»Ein bisschen«, antwortete er.
»Da kommt Yngi«, sagte Hilda. Karl wunderte sich über den gehässigen Tonfall in ihrer Stimme und den unglücklichen Ausdruck, der über Thorbjorgs Gesicht huschte.
Der Mann, der zu ihnen an den Tisch kam, bewegte sich
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