Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
gebeugt an einem Tisch saß. Er trug einen weißen Pelzumhang, der mit bunten Bändern verziert war. Karl fragte sich, ob von ihm erwartet wurde, beeindruckt zu sein.
Ragnar hob den Kopf. »Da bist du ja. Gut.« Er bemerkte, dass Karls rechtes Bein zitterte. »Jagt dir mein Anblick so viel Angst ein?« Er grinste.
»Muskelkrampf«, erklärte Karl. »Weil ich eine größere Strecke gelaufen bin. Habe mich noch nicht ganz erholt.« Er fühlte sich tatsächlich ein bisschen schwach.
»Dann setz dich. Hilda, bring ihm etwas warmes Wasser.«
Hilda verschwand.
Ragnar betrachtete Karl, der seinen Blick erwiderte. »Wo kommst du her?«, fragte er plötzlich. »Und was hattest du mitten in der Nacht völlig nackt auf einem Berghang verloren?«
»Ich … äh … ich bin vom Himmel gefallen.« Die Antwort kam Karl dämlich vor, aber das hiesige Vokabular, das sich sein Gefährte während seiner Bewusstlosigkeit angeeignet hatte, ermöglichte ihm nur einfache Um schreibungen, auch wenn sein Wortschatz mit jeder Stunde umfangreicher wurde.
»Wieso?«
»Mein Schiff wurde angegriffen. Ich war gezwungen, es … zu verlassen. Es wurde zerstört. Ich hatte keine Zeit, irgendwelche Dinge mitzunehmen.«
»Ein Sternenschiff? Kein Segelschiff?« Ragnars Tonfall deutete Zweifel an.
»Ein Sternenschiff, ja.« Mach es nicht zu kompliziert. Karl wusste nicht, ob der Mann vor ihm ein Freund oder ein Feind war, auch wenn sein Instinkt auf Letzteres hindeutete.
»Wer hat dich angegriffen?«
»Leute, die mich für einen Feind gehalten haben«, sagte er vorsichtig. »Es ist kompliziert. Es gibt eine Menge Frak tionen in einem weiten Himmel.«
»Waren es Gestalter?« Zum Glück sah Karl, wie Ragnars Lippen das Wort »Former« artikulierten, und so ignorierte er den Drang seines geistlosen Gefährten, alle Begriffe zu übersetzen, selbst wenn sie in beiden Sprachen geläufig waren.
»Terraformer? Nein.«
»Bist du einer?«
»Ich bin …« Karl zögerte, während er überlegte, wie er es am besten erklären sollte. »Mein Konglomerat – das heißt, mein Clan – setzt bis zu einem gewissen Ausmaß Terraforming ein. Aber das ist ein teurer Prozess, und er erfordert ständig … äh … bestimmte Maßnahmen, um eine so umgewandelte Welt davon abzuhalten, in ihren mangelhaften ursprünglichen Zustand zurückzufallen. Genau das ist den Leuten passiert, die Isheimur besiedelt haben. Sie sind im Verlauf der Langen Nacht bankrott gegangen, und ihre Besitztümer wurden veräußert Niemand war bereit, dieses Projekt fortzuführen. Es tut mir leid.«
Ragnar schien merkwürdig befriedigt über die Auskunft zu sein, dass die Kolonie aufgegeben worden war. »Wir werden uns überlegen müssen, was wir mit dir anfangen sollen.«
Karl fragte sich, wie es seiner Familie ging, wie er ihr ein Signal schicken konnte. Er wünschte, das Schiff hätte ausreichend Zeit zur Verfügung gehabt, ihm mehr als nur die grundlegenden Informationen zu überspielen, denn so wusste er nicht, wie sich dieser Planet seit seiner Besiedlung entwickelt hatte. Das Schweigen der Kolonie konnte nicht als Indiz dafür herangezogen werden, dass sie alle technischen Errungenschaften verloren hatte; schließlich war aus den Unterlagen des Schiffes nicht einmal ersichtlich gewesen, dass Isheimur überhaupt noch existierte.
Aber war das nicht nur reines Wunschdenken? Die Galaxie war riesig, das vergaß man leicht, wenn man von einer Raumzeitfalte zur nächsten flog und so eine Reise von einem Sonnensystem zum anderen, die bei Unterlichtgeschwindigkeit sonst etliche Jahre gedauert hätte, auf wenige Wochen zusammenschrumpfen ließ.
Alle Signale, die Isheimur aussandte, verloren sich wahrscheinlich in den Tiefen des von den Menschen mittlerweile geräumten Alls. Die aktuellen Nexus-Punkte waren den heutigen Isheimurern vermutlich unbekannt, und die Raumstationen an den Knotenpunkten, die die Gründer der Kolonie seinerzeit benutzt hatten, würden längst nicht mehr in Betrieb sein.
Ein Klopfen von der Tür her riss Karl aus seinen Gedanken.
»Komm rein!«, rief Ragnar, der seinen Besucher schwei gend gemustert hatte.
Bera betrat das Zimmer mit einem einen Meter langen, knorrigen, aber pfeilgeraden Stock. »Der ist schon früher von anderen Alten als Gehhilfe benutzt worden«, sagte sie. »Ich habe ihn im Vorraum gefunden. Vielleicht ist er hilfreich.«
»Nimm ihn, und geh zum Mittagessen«, sagte Ragnar zu Karl. »Mach dich mit den anderen bekannt.« Dann wandte er sich
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