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Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Titel: Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Harvey
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wieder seinen Papieren zu.
    Karl stemmte sich hoch und versuchte, sich nicht wie ein Trottel vorzukommen. Schon nach dem ersten Schritt war er dankbar für den Stock, ohne den er sich vermutlich längst aufs Gesicht gelegt hätte.
    Bera bot ihm einen Arm als zusätzliche Stütze an. Karl bemerkte ihr Zögern und fragte sich, was sie verunsicherte. Als er seinen linken Arm auf ihren rechten legte, zuckte sie zusammen. Es war eine kaum merkliche Bewegung, aber er spürte sie trotzdem. Hat man sie angewiesen, freundlich zu mir zu sein? Fürchtet sie sich vielleicht vor mir? Weil ich ein Fremder bin?
    Er fragte sich auch, weshalb er ihr gegenüber so empfindlich war. Es erschien ihm Karla und Lisane gegenüber beinahe wie ein Verrat, wenn er sich die Feststellung gestattete, wie hübsch Bera unter all dem Schmutz und der schäbigen Kleidung war, von ihrem verkniffenen Gesichtsausdruck einmal abgesehen. Also beschloss er, alles zu vermeiden, was darauf hindeuten konnte, dass er sie anziehend fand. Er würde sich ihr gegenüber korrekt, aber distanziert verhalten und hoffen, dass es funktionierte. Zum Teufel, so wenig, wie er über die hiesigen Umgangsformen wusste, war es möglicherweise sogar eine Beleidigung, wenn er keine Annäherungsversuche machte.
    Bera umklammerte seinen Arm, als er vor der Menge zurückweichen wollte, die in dem langen Raum mit der niedrigen Decke umherwuselte. Die Leute waren derart damit beschäftigt, sich gegenseitig aus dem Weg zu schub sen und einen freien Platz am Tisch zu ergattern, wo sie ihre mit Fleisch, Brot und Eiern beladenen Teller und Trinkkrüge abstellen konnten, dass sie ihn eine Weile gar nicht bemerkten.
    Karl beobachtete, wie sich Ragnars Töchter und Schwiegertochter zankten. Thorbjorg trug jetzt ein anderes Kleid, das die schlanke Taille zwischen ihrem fülligen Busen und dem breiten Hinterteil betonte, und ihr Haar war mit bunten Bändern verziert. Asgerd hatte irgendetwas mit ihren Lippen angestellt, das sie voller erscheinen ließ und ihre grazilen Wangenknochen betonte. Nur Hilda wirkte unverändert. Zwischen den Erwachsenen lief ein halbes Dutzend Kinder herum, die wie ein Schwarm Elritzen umherhüpften und -flitzten und – je nach Alter – entweder den Erwachsenen halfen oder einander durch den Saal jagten.
    Asgerd bemerkte Karl, und ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Die anderen folgten ihrem Blick, drehten sich zu ihm um und verstummten. »Komm zu uns«, forderte Asgerd ihn auf.
    »Kann ich irgendwie helfen?«, fragte Karl, während er mit dem Kinn auf den gedeckten Tisch deutete.
    »Du kannst uns beim Essen helfen«, sagte Ragnar. »Ein Teil davon ist ohnehin für dich.« Er zeigte auf eine der Bänke, die sich beidseitig über die gesamte Länge des Tisches erstreckten, und die Leute begannen sofort, sich wieder zu unterhalten. Die Kinder plapperten und lachten wie zuvor.
    Hilda nahm Karl gegenüber Platz. »Kommt Yngi zu uns?«, fragte sie Thorbjorg, die sich neben sie in eine schmale Lücke gequetscht hatte. Thorbjorg errötete, und Karl glaubte, ein schwaches hämisches Grinsen über Hildas Lippen huschen zu sehen.
    »Er schlachtet gerade einen Felsfresser«, erwiderte sie. »Und er hat vor, ihn einzupökeln.«
    Eins der Kinder gab würgende Laute von sich.
    »Vielleicht werden wir das Biest wirklich essen müssen, wenn der Winter hart wird«, sagte Hilda. Sie wandte sich Karl zu. »Als Ragnars Tochter führe ich den Haushalt, wenn mein Vater abwesend ist.« Irgendwer kicherte. »Deshalb bestimme ich, was es zu essen gibt.«
    »Ich bin Thorbjorg, Ragnars Schwiegertochter«, stellte sich Thorbjorg vor. Als Karl ihr die Hand gab, spürte er, wie sie ihm leicht mit dem Daumen über die Fingerknöchel strich, und er hatte beinahe den Eindruck, dass sie seine Hand nur widerstrebend wieder losließ. Ihre Augen weiteten sich kaum merklich, und sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, als sich ihre Blicke trafen.
    »Möchtest du etwas Lamm?«, fragte Bera und schaufelte ein paar der grauen Fleischstücke auf Karls Teller. »Grüne Soße«, fügte sie hinzu und goss ein paar kleine Löffel Soße über das Fleisch. »Nimm ein bisschen eingelegtes Gemüse dazu.«
    Karl bedankte sich mit einem Nicken. Obwohl sein Magen hungrig knurrte, nahm er sich nur ein paar Brocken von den verschiedenen Gemüsesorten, doch als sich plötzliches Schweigen breitmachte und er sich umblickte, bemerkte er, dass er sich deutlich mehr als die anderen auf den Teller

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