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Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Titel: Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Harvey
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mich gemacht, nachdem er sein Vieh letztes Frühjahr auf die Wasserweiden hatte ziehen lassen. Ich habe ihn damals gewarnt, dass ich ihm den Arsch mit meiner Klinge versohlen würde, sollte er das noch einmal versuchen.«
    Er machte eine kurze Pause. »Er behauptet, es wäre sein Land, aber wir wissen beide, dass er damit beim Althing nicht durchkommen würde. Also greift er zu Guerillataktiken, indem er seine Herden zum Beispiel über mein Land ziehen lässt. Dies war das dritte Mal; das letzte Mal hatte ich einen von ihm angeheuerten Mann an der Grenze angetroffen. Der Totschläger hat mir so viele Beleidigungen an den Kopf geworfen, dass mir praktisch gar nichts anderes übrig geblieben ist, als ihn auf der Stelle zum Kampf zu fordern.« Er räusperte sich. »Er hat sein Schwert so schnell gezogen, dass ich sofort sehen konnte: Er war ein Söldner. Verdammt noch mal, ich kann dir sagen, Mädchen, ich habe mich damals wirklich gefragt, worauf ich mich da eingelassen hatte.« Ragnar lachte leise. »Aber auch wenn er gut war, war er doch nicht gut genug für mich. Und er hat bis zum Schluss geleugnet, ein gedungener Attentäter zu sein – ganz zu schweigen davon, wer ihn mir auf den Hals gehetzt hatte.«
    »Was hat er damit bezweckt?«, fragte Bera, während sie weiter im Heidekraut herumzupfte.
    »Ich habe keine Ahnung«, gestand Ragnar. »Er hat zu gegeben, dass Verwandte von ihm auf Steinars Land leben, also wollte er sie vielleicht durch sein Schweigen beschützen. Vielleicht war es aber auch irgendein komischer unter Söldnern geläufiger Ehrenkodex, den er befolgen musste.« Er seufzte. »Doch was auch immer der Grund war, es reicht schon, dass ich diesen verdammten Steinar nur zu Gesicht bekomme, und ich verliere die Beherrschung. Diesmal hatte er ein paar Schläger dabei, und ich war allein. Offenbar dachte er, dass er in ihrer Begleitung eine große Lippe riskieren konnte.« Ragnars Kiefermuskeln traten deutlich hervor. »Niemand bezeich net mich als Trollscheiße und kommt ungestraft damit davon!«, zischte er.
    »Das kann ich mir denken, Gothi«, murmelte Bera mit dumpfer Stimme.
    »Es ist mir nicht leichtgefallen, mich einfach zurück zuziehen und diesem miesen kleinen Scheißkerl das letzte Wort zu lassen. Aber ich werde mich in Geduld üben.« Ragnar lächelte. »Nächstes Frühjahr werde ich ihn fertigmachen!«
    »Das muss dich sehr wütend gemacht haben«, sagte Bera, ohne zu ihm aufzublicken. Ihre Stimme klang immer noch tonlos.
    »Das hat es«, bestätigte Ragnar. »Und dann – auf dem Heimweg – hat Thorir der Dumme die Schafe beinahe über eine Klippe rennen lassen. Wir konnten sie zwar noch aufhalten, aber das hat Ewigkeiten gedauert und jede Menge Kraft gekostet. Als wir dann endlich in Skorradalur angekommen sind, hat es in mir gebrodelt wie in einem vulkanischen Schlammtümpel …« Er nahm die Hände vom Rücken, richtete sich gerade auf und fummelte an einem eingerissenen Fingernagel herum. »Ich weiß, dass du denkst, ich würde Kleinigkeiten übersehen, aber das stimmt nicht. Als ich gesehen habe, wie du vor mir zurückgezuckt bist und dich an Allman geschmiegt hast, als ob ich dich bedroht hätte … war das einfach zu viel für mich.«
    Bera verharrte mitten in der Bewegung. Du hattest den Eindruck, als würde sich ein entscheidender Moment anbahnen.
    »Das soll jetzt keine Entschuldigung für mein Verhalten sein«, sagte Ragnar, während er immer hektischer an seinem eingerissenen Nagel herumfingerte. »Aber es ist besser, dass ich mich an deinem kläffenden kleinen Vieh abreagiert habe, anstatt unseren ›Gast‹ oder irgendwen sonst bewusstlos zu schlagen.« Er seufzte. »Allerdings tut es mir trotzdem leid, dass der arme kleine Hund meine Wut ausbaden musste.«
    »Mein Gothi macht sich zu viele Gedanken über die Gefühle seiner Untergebenen«, sagte Bera ruhig, doch diesmal schwang eine Anspannung in ihrer Stimme mit, als hätte sie große Mühe, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Es hatte dich viel Zeit gekostet, die Komplexität dieser menschlichen Emotionen zu analysieren und zu entschlüsseln, aber es war dir gelungen, was dich mit einem merkwürdigen Stolz erfüllte. Außerdem entwickelte es sich beinahe zu einer Art Sucht, das Verhalten der Menschen zu beobachten.
    »Ich frage mich …«, begann Ragnar.
    Aber du solltest nie herausfinden, was er sich fragte, denn offenbar hattest du ein Geräusch gemacht, warst vielleicht auf einen Zweig getreten. Vielleicht hatte Bera aber

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