Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
Vaters geerbt. Es wird dir nicht gelingen, einen Keil zwischen uns zu treiben, Utlander.« Das letzte Wort betonte er mit fast sarkastischem Nachdruck.
»Das habe ich mir auch nicht eingebildet.« Karl riss ein paar Brocken von dem Brotlaib ab und tunkte sie in den Eintopf.
Arnbjorn lümmelte weiter in der Tür des Schuppens herum und sah Karl entspannt beim Essen zu. Hinter ihm kämpfte Ragnar spielerisch mit Yngi auf dem Hofplatz zwischen den Häusern, und Karl fragte sich, ob er jemals die Gelegenheit bekommen würde, so mit seinem eigenen Kind zu spielen.
Als Arnbjorn Karls Gesichtsausdruck bemerkte, warf er einen Blick über die Schulter. »Sie finden jetzt nur noch selten die Zeit, gemeinsam etwas zu unternehmen. Aber heute … Das Erntefest ist immer dafür gedacht gewesen, das Einholen des Getreides und den Heimtrieb der Tiere zu feiern. Da die Getreideernte in letzter Zeit meistens schlecht ausfällt, feiern wir jetzt hauptsächlich, dass wir es geschafft haben, die Tiere sicher in ihre Ställe bringen, bevor die Snolpelze zur Winterzeit weiter nach Norden ziehen. Der Viehtrieb benötigt weniger Zeit als die Ernte, sodass wir umso länger feiern können.« Er verzog das Gesicht. »Wenn es nach mir ginge, würde ich allerdings gern auf einen Teil der Freizeit zugunsten von mehr Essen verzichten.«
Der Anblick von Ragnar und Yngi erinnerte Karl an Karla, Lisane und ihr gemeinsames Baby, und das ließ ihn so wehmütig werden, dass er darauf verzichtete, Arnbjorn weiter auszufragen. Er trank das Bier aus und wischte den Boden der Eintopfschüssel mit den letzten Brotstücken sauber. Dann gab er Arnbjorn das Tablett zurück und deutete mit dem Daumen zur Decke. »Wie lange muss ich noch hier bleiben?« Damit meinte er zwar nicht ausschließlich den Schuppen, doch Ragnars Sohn bezog die Frage nur auf das provisorische Gefängnis.
»Bis Papa bereit ist, dich wieder rauszulassen.«
»Ich schätze, er hat zu viel Angst, um mir das direkt ins Gesicht zu sagen.« Es war bestimmt nicht ratsam, Arnbjorn oder Ragnar mit solchen Bemerkungen zu provozieren, aber Karl war ihrer Erbsenzähler-Mentalität, mit der sie ihre guten Taten addierten und in Profit für sich umrechneten, so überdrüssig, dass er sich einfach nicht beherrschen konnte. Es wäre besser gewesen, sie hätten mich einfach in den Bergen sterben lassen. Dann wäre mir dieses ganze Elend wenigstens erspart geblieben.
Außerdem war er es leid, geduldig und ruhig zu bleiben, obwohl er Ragnar liebend gern irgendwohin geschleppt hätte, wo sie niemand störte, um ihn dort mit dem gleichen Nudelholz bewusstlos zu schlagen, das Ragnar ihm über den Schädel gezogen hatte. Ein Teil seiner Wut galt ihm selbst, weil er den Gothi derart unterschätzt hatte. Er war davon ausgegangen, dass seine genetische Optimierung ihn Ragnar gegenüber praktisch unverwundbar machen würde, doch sein Kopf war im gleichen Maß ein Schwachpunkt wie bei allen anderen Menschen auch, ganz egal, wie viele Nanophyten durch seine Adern schwärmen mochten.
Arnbjorns Gelassenheit war verflogen. »Mein Vater hat vor niemandem Angst«, sagte er mit ruhiger Stimme, in der jedoch ein leiser Unterton von hitzigem Stolz mitschwang.
Fast zu spät wurde Karl bewusst, dass er riskiert hatte, einen jungen Mann zu verärgern, der zwar nie sein Verbündeter sein würde, bei dem aber die Chance bestand, dass er sich ihm gegenüber zumindest neutral verhielt. »Nein, ich schätze, das hat er wohl nicht.« Er seufzte, und die Niedergeschlagenheit wischte seine Wut genauso schnell wieder fort, wie sie in ihm aufgestiegen war.
Arnbjorn schien Karls Worte als die halbe Entschuldigung zu akzeptieren, als die sie auch gedacht waren. »Manchmal wünschte ich beinahe, dass er rücksichtsvoller wäre. Meistens ist er ein guter Mann.« Den letzten Satz betonte er mit so viel Nachdruck, dass Karl sich fragte, wen von ihnen beiden Arnbjorn zu überzeugen versuchte. »Aber wenn der Schwarze Hund ihn erst einmal im Griff hat …«
»Der Schwarze Hund?«
»Depressionen«, erklärte Arnbjorn. »Er kämpft dagegen an. Das hält ihn zwar davon ab, in Trübsal zu versinken, doch dafür wird er dann wütend auf die Welt, auf das Leben und vor allen Dingen auf sich selbst.«
»Das hätte ich gern vorher gewusst«, sagte Karl. Es erklärte eine Menge, auch wenn es Ragnars Verhalten nicht entschuldigte. »Aber keiner von euch kann sich vorstellen, wie es sich anfühlt, Tag für Tag tatenlos abwarten zu müssen,
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