Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
Todesurteil herbeiführen, indem er sein Wort bricht.
»Müsste dieser Schwur öffentlich geleistet werden?«, erkundigte er sich.
»Wir brauchen natürlich Zeugen«, erklärte Ragnar. »Sonst stünde im Zweifelsfall dein Wort gegen das meine.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Karl.
»Lass dir aber nicht zu viel Zeit damit«, warnte Ragnar. »Ich könnte die Geduld verlieren.«
»Ich komme mir schon wie ein ungezogenes Kind vor.« Karl imitierte den Tonfall einer alten Frau. »Du bleibst jetzt so lange in deinem Zimmer, bis du ein braver Junge bist!« Er schüttelte verwundert den Kopf. »Meinst du wirklich, dass es sich auszahlt, Erwachsene wie Kinder zu behandeln?«
»Nun, wenn du dich wie ein Kind aufführst, wirst du auch wie eins behandelt«, erwiderte Ragnar. Ohne ein weiteres Wort nahm er das leere Tablett an sich und zog die Tür hinter sich zu.
Karl hörte, wie der Riegel mit einem trockenen Geräusch im Schloss einrastete.
Am nächsten Tag war es Thorir, der schwankend in der Tür stand. Ragnars Schwiegersohn roch nach schalem Bier, aber Karl war ihm dankbar, da er ihm sein Essen mitgebracht hatte.
»Erntefest?«, fragte er und nahm ihm das Tablett ab, bevor es Thorir aus den Händen gleiten konnte. Es war mit verschiedenen Fleischsorten, Gemüse und Brot beladen. Sogar ein Becher saurer Wein war dabei.
»Heute bin ich an der Reihe, den Gefängniswärter zu spielen«, sagte Thorir mit schleppender Stimme. »Eigentlich wollte Ragnar dir ja das Essen bringen, um dich zu fragen, ob du es dir inzwischen anders überlegt hast.« Er grinste hinterlistig. »Aber er ist jetzt schon sinnlos betrunken.«
»Wenn ich ihm Gefolgschaft gelobe, hat er mich genau da, wo er mich haben will, stimmt’s?«, erkundigte sich Karl.
Thorirs Grinsen wurde noch breiter, und Karl fragte sich, wie weit er Ragnars Schwiegersohn trauen konnte. Bei dem Gothi wusste er wenigstens, woran er war. Thorir dagegen stellte eine unbekannte Größe dar.
»Er hat dich an den Eiern«, sagte Thorir. Er streckte die Hand aus, die Handfläche nach oben gedreht, und ballte sie zur Faust.
Karl schwieg einige Minuten lang und schaufelte das Essen in sich hinein. Er hatte aus Erfahrung gelernt, dass er die Wahl hatte, entweder hungrig zu bleiben, oder aber zu essen, was auch immer man ihm vorsetzte, ungeachtet seiner Gefühle. Zwei der Fleischsorten identifizierte er als Lamm und Hammel, und er fragte sich, ob die Tiere miteinander verwandt gewesen waren. Jeden falls schmeckten sie ganz ähnlich. »Was würde es dir brin gen, wenn Ragnar mich nicht länger an den Eiern hätte?«, fragte er schließlich.
Thorirs Lider hatten sich geschlossen, als döste er vor sich hin. Er öffnete ruckartig die Augen. »Es würde mir viel Vergnügen bereiten, wenn du den alten Bastard wütend machst«, erwiderte er. »Heute betrinken sich die meisten von uns bis zum Vollrausch. Einige aber müssen nüchtern bleiben … zumindest halbwegs. Morgen ist Yngi an der Reihe. Heute bin ich es, also muss ich mich beherrschen. Du hast es geschafft, dafür zu sorgen, dass ich mich nicht mal richtig betrinken kann. Aber ich saufe trotzdem so viel, wie ich es wage.« Sein Lachen ähnelte fast schon einem Schluchzen. »Du hast dafür gesorgt, dass sich meine Frau von mir abwendet und ich mich nicht richtig besaufen kann. Dafür sollte ich dich eigentlich hassen, Loki.«
»Wie meinst du das?«, murmelte Karl mit vollem Mund. Er brach den kleinen Brotlaib auseinander und erkannte an der dunkelgrünen Farbe des Teigs, dass er unter an derem auch Mehl aus gemahlenen Flechten enthielt. Einen Moment lang dachte er, Thorir hätte ihn nicht verstanden, aber offenbar dauerte es nur seine Zeit, bis sich seine Frage ihren Weg von Thorirs Ohren bis in sein Gehirn gebahnt hatte.
»Hilda weigert sich, mich zu küssen«, knurrte der junge Mann. »Sie will keinen Sex mehr, außer wenn sie vorher in deiner Nähe war, und dann ist sie ganz wild darauf. Als würde sie ständig an dich denken, während ich es ihr besorge.«
»Tut mir leid«, sagte Karl. Thorir hatte ihm nichts getan, und Karl legte keinen Wert darauf, dass Hilda sich für ihn interessierte.
Thorir zuckte die Achseln. »Alles wäre leichter, wenn du einfach verschwinden würdest.«
Karl hörte auf zu kauen. »Glaub mir, in dem Punkt sind wir einer Meinung.«
»Morgen«, sagte Thorir. »Beim ersten Tageslicht wird die Tür unverschlossen sein, und ich werde in die andere Richtung schauen, während du nach
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