Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
fragte er bissig. »Entschuldige meine Unwissenheit, Freund, aber wovon willst du denn auf deiner epischen Reise gen Süden leben?«
»Ich werde von dem leben, was ich unterwegs finden kann«, sagte Allman, und Ragnar sah sofort, dass der Fremde nicht darüber nachgedacht hatte. »Und da du alles mit einem Preisschild versehen hast, werde ich wäh rend der nächsten Tage noch mehr arbeiten, um mir Reise proviant kaufen zu können.«
»Du kannst nur während Faradalur reisen. Die Reisetage brechen erst im Frühjahr an.«
»Das ist akzeptabel«, erwiderte Allman.
Ragnar hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Es ist nicht nur akzeptabel. Das Gesetz will es so, und das ist der Grund, weshalb ich Frühjahr gesagt habe. Ja, das ermöglicht es dir, deine Schulden abzuzahlen, aber es ist auch das, was die Gesetze des Landes vorsehen und damit etwas, worauf ein Gothi vielleicht so nebenbei achten sollte.« Ihm wurde bewusst, dass er in Sarkasmus verfiel, und er atmete tief durch. »Mit Anbruch des Frühlings darfst du die vier dir zustehenden Tage reisen. Und sollte es nötig sein, kannst du die Zeit mit meiner Genehmigung sogar noch verlängern.«
»Mit deiner Genehmigung?« Allman runzelte die Stirn. »Moment mal. Du sagst, dass die Leute nur während der Reisetage unterwegs sein dürfen? Aber das gilt doch bestimmt nur für diejenigen, die an einen bestimmten Ort gebunden sind. Du hast vor einiger Zeit von Sehern und anderen Leuten gesprochen, die rechtmäßig außerhalb der Gesetze stehen. Die anderen sagen, du hättest behaup tet, ich müsste ein Seher sein.«
»Ich habe nichts dergleichen behauptet«, erwiderte Ragnar unwirsch und dachte: Du hast dich also schon mit den anderen darüber unterhalten, was?
»Ich … ich habe versucht, es ihm zu erklären«, meldete sich Bera, die wie aus dem Nichts erschienen war, zu Wort. »Dass du es als Verstoß gegen die Dankesschuld ansehen würdest, wenn er fortgeht. Als Missbrauch deiner Gastfreundschaft.«
»Damit hat sie recht«, bestätigte Ragnar. »Das ist eine ungeheuerliche Undankbarkeit.« Er legte eine Hand unter Beras Kinn und hob es an. »Gut gesprochen. Du darfst uns jetzt verlassen.«
Bera gehorchte langsam und widerstrebend, doch Ragnar konnte genau sehen, wie stark der Einfluss des Fremden auf sie war, und das fachte seine Wut nur noch mehr an.
Allman hatte die kurze Unterbrechung genutzt, um sich zu sammeln und sich seine nächsten Worte zurechtzulegen. »Auch wenn ich dir für alles, was du für mich getan hast, sehr, sehr dankbar bin, habe ich nicht die Absicht, mich dadurch zu deinem Gefangenen machen zu lassen, schon gar nicht zum Gefangenen einer Dankbarkeit, bei der an allem ein Preisschild klebt.«
»Da wir von dem, was wir haben, so wenig erübrigen können, müssen wir nun einmal alles mit Preisen versehen. Unsere Ressourcen sind sehr begrenzt, und das Wissen, was die Dinge wert sind, hindert uns daran, zu verschwenderisch damit umzugehen.«
»Im Namen des Mitgefühls, Mann! Meine Frau ist hoch schwanger!«
»Und Frauen haben schon immer Kinder geboren, ohne dass ihre Männer die Nabelschnur durchtrennen muss ten. Tatsächlich wird das ihre Selbstständigkeit sogar noch fördern. Deine Frau wird es auch ohne dich überstehen. Nein, es tut mir leid, Allman, aber ich muss dir verbieten, eine solche Reise anzutreten, bevor deine Schulden bei mir vollständig abgegolten sind.«
»Dann lass mich mal sehen, ob das alles so seine Richtigkeit hat«, sagte Allman. »Du entscheidest also, was mein Bett, meine Unterkunft und meine sogenannte Behandlung wert ist?«
»Sogenannt?«, stieß Ragnar hervor. Er spürte, wie sich ein immer stärker werdender Druck in seinen Schläfen aufbaute.
»Wer hat mich denn behandelt? Du etwa?«
»Ich habe es arrangiert, dass du gepflegt wirst.«
»Alles, was ich an Pflege erhalten habe, hat Bera geleistet. Oder ist sie etwa deine Sklavin?«
»Vorsicht, Utlander«, sagte Ragnar leise. »Du stehst gefährlich dicht davor, deinen Gastgeber zu beleidigen. Derartige Beleidigungen aber kommen einem Vergehen gleich, und als Gothi habe ich das Recht, solche Vergehen zu bestrafen.«
»Du entscheidest also, was ich dir schulde, in welchen Raten ich meine Schulden zurückzahlen kann, und jetzt bist du sogar nicht nur mein Gastgeber, sondern auch noch derjenige, der beurteilen darf, ob deine Forderungen überhaupt gerechtfertigt sind und ob ich dich vielleicht beleidigt haben könnte? Da, wo ich herkomme, bezeichnet man so etwas
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