Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
Er sprang vor, den Lederriemen um die Fingerknöchel geschlungen, und erstickte Yngis Schreie.
Die Sonnen standen im Zenit, als Bera sagte: »Wir verlassen jetzt Ragnars Land.«
Sie waren immer weiter die Hügel hinabgeritten und schließlich in ein tiefes Tal gelangt, dessen Boden so aussah, als wäre er erst kürzlich regelrecht durchgepflügt worden. Auf einer Seite der Talsohle erstreckte sich ein mit Schilfrohr bewachsener Morast, der Karl vage bekannt vorkam, ohne dass er wusste, warum. Über dem Kadaver eines Felsfressers stand ein Snolpelz mit blut verschmierter Schnauze. Wie aus dem Nichts erschien vor Karls innerem Auge plötzlich das Bild eines explodierenden Felsfressers. »Wo sind wir?«, fragte er.
»Das sind die Wassergründe, über die sich Ragnar und Steinar streiten. Sie sind sogar noch tiefer gelegen als Skorradalur. Die Luft ist hier unten so dicht, dass einige Leute meinen, man könnte durch bloßes Atmen einen Sauerstoffrausch bekommen.«
»Hah!« Karl brachte pflichtschuldigst ein halbes Lachen zustande. Die Luft war tatsächlich dichter als normal. Er hatte den niedrigen Luftdruck auf Isheimur kaum bewusst registriert. Laut Ragnar betrug er rund 400 Millibar, vergleichbar in etwa mit dem, der auf der Höhe des tibetischen Hochlands auf Terra herrschte, doch die Siedler hatten sich längst daran angepasst. Auch wenn er nicht einmal halb so hoch wie auf Avalon war, dessen Atmosphäre aus einem dunstigen Sauerstoff-Stickstoffgemisch bestand, hatten die Blut- und Lymphflüssigkeits-Nanophyten Karls Metabolismus problemlos auf die hiesigen Verhältnisse eingestellt.
Er starrte zu Boden.
»Was?«, fragte Bera.
Karl stieg wortlos aus dem Sattel und näherte sich einem Leichnam, der unter einem Felsüberhang lag, wo er halbwegs vor Aasfressern verborgen war.
»Das ist nur ein Troll«, sagte Bera abfällig. »Ist wahrscheinlich von einem unserer Männer getötet worden. Oder von Steinars Leuten.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Du warst vor eine Weile mit Arnbjorn und Thorir hier draußen.«
»War ich das?« Karl fragte sich, ob das Bild des explodierenden Felsfressers daher stammte. Er drehte den Troll herum. »Kein Anzeichen von Gewalteinwirkung.« Er musterte die Haut, die unter dem Fell sichtbar wurde. Sie schien ihm unnatürlich rosa gefärbt zu sein, obwohl er nicht wissen konnte, wie die Haut eines Trolls normalerweise aussehen sollte.
Nach einer Weile zuckte er die Achseln und stieg wieder in den Sattel. Sie ritten weiter durch das Tal, das allmählich wieder anstieg. Ragnars Ländereien blieben hinter ihnen zurück.
»Was ist das da in der Ferne?«, fragte Karl, als sie die nächste Hügelkuppe erreichten. »Halb verborgen hinter den Wolken?«
»Thekla«, erwiderte Bera. »Ein Vulkan. Die Hügel erstrecken sich bis zu seinem Fuß, wenn wir auf dieser Route bleiben. Aber bis dahin sind es noch mehr als 100 Kilometer.«
Sie ritten schweigend weiter, und während der Weg kontinuierlich aufwärtsführte, registrierte Karl, dass sich die Umgebung allmählich veränderte. Die Weiden machten mehr und mehr einheimischem Gestrüpp und einer Felsenlandschaft Platz, wo dornige Pflanzen mit purpurroten Blättern wuchsen. Pelzige weiße Tiere, die er aus der Ferne zunächst für Schafe hielt, knabberten an einigen der Pflanzen herum, und er fragte sich schon, warum Steinar seine Schafe so lange im Freien gelassen hatte. Doch dann konnte er den Kopf eines der Tiere deutlicher erkennen. »Sieht ein bisschen wie ein Ziesel aus«, meinte er.
Bera folgte seinem ausgestreckten Arm mit den Augen. »Felsfresser.«
»Ich nehme doch an, dass sie harmlos sind, oder?« Karl hatte das Gewehr bemerkt, das in einer der Satteltaschen steckte. Aus einem Ende ragte der lange Lauf, aus dem anderen der Kolben hervor.
»Das sind sie«, bestätigte Bera.
»Warum heißen sie überhaupt Felsfresser?«, wollte Karl wissen. »Sie fressen doch Pflanzen.«
»Weil man sie hin und wieder dabei beobachtet hat, wie sie Felsen fressen«, erklärte Bera. Sie musste kichern. »Na ja, eigentlich waren es nur Steine, aber wir Isheimurer neigen nun mal dazu zu übertreiben. Wir vermuten, dass die Steine ihrem Verdauungstrakt dabei helfen, die Nahrung zu zerkleinern. Vielleicht nehmen sie mit ihnen aber auch zusätzliche Spurenelemente auf.« Sie zuckte die Achseln. »Im Grunde sind wir uns nicht sicher. Das sind alles nur Theorien.«
Karl betrachtete die struppigen, etwa einen Meter großen Tiere. Sie hatten kurze
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