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Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Titel: Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Harvey
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hatten Felsbrocken so lange im Feuer erhitzt, bis sie fast zu heiß gewesen waren, um sie wieder aus der Glut herauszubugsieren, ohne sich dabei zu verbrennen, und dann ihr Abendessen darauf zubereitet.
    Kurz bevor sich die Dunkelheit schnell über das Ödland herabsenkte, waren auch die letzten Nachzügler der gewaltigen Felsfresserherde endlich vorbeigezogen. Karl war die ocker- und purpurfarbene Ebene schon vorher trist erschienen, aber nachdem nun nicht einmal mehr die Felsfresser für etwas Abwechslung sorgten, fragte er sich, ob er sich jemals an diese gefrorene Höllenwelt würde gewöhnen können.
    Er war sich nicht sicher, ob Bera ihn überhaupt beachten würde. Sie hatte den ganzen Abend über kaum gesprochen, außer ihm knapp zu antworten, wenn er eine Frage an sie richtete, und selbst dann nicht immer.
    Diesmal schürzte sie die Lippen. »Manchmal nennt er mich Iokaste, dann ist es offensichtlich. Meistens aber ist es nicht leicht, es zu merken, nicht wie in diesen alten Dramen über Besessene, wenn der Bösewicht plötzlich mit einer ganz anderen Stimme spricht.«
    »Du hast Filme über Besessene gesehen?« Karl war überrascht. Als man mit dem Download von Bewusstseinsinhalten in den Cyberspace begonnen hatte, war in kürzester Zeit ein Subgenre von Filmen aufgeblüht, deren zentrales Element darin bestand, dass Menschen durch Zufall oder Sabotage die Körper tauschten, doch die Welle war dann genauso schnell wieder abgeebbt. Die Besessenen hatten immer gewaltig übertrieben, indem sie zum Beispiel mit viel zu tiefen oder quäkenden Stimmen sprachen. Karl wusste nur deshalb davon, weil sich Lisane für antiquierte Kunstformen interessierte.
    »Wir sind keine Wilden«, sagte Bera.
    »Dafür habe ich euch auch nicht gehalten.« Am liebsten hätte Karl sie angeschrien, sich nicht ständig so defensiv zu verhalten, aber er unterdrückte den Impuls. Durch Lokis Verhalten hatte er sich jedes Recht verwirkt, sie zu kritisieren. »Woran kannst du noch erkennen, dass ich Loki bin?«
    »Keine Ahnung. Ich nehme an … Dein Tonfall verändert sich ein bisschen. Warum fragst du?«
    »Weil er sich mir gerade erst gezeigt hat«, erwiderte Karl. »Und ich möchte, dass du dir anhörst, was er zu sagen hat.« Er entspannte sich und überließ dem anderen Bewusstsein die Kontrolle über seinen Körper.
    »Wir sind Loki«, sagte er kurz darauf. Kaum dass er die Kontrolle über seine Stimmbänder abgegeben hatte, wurde seine Stimme tonloser, als beherrschte der Download die richtige Tonlage und Sprachmelodie noch immer nicht vollständig. »Hab keine Angst, Bera-Iokaste. Wir sind Legion, aber unser Wunsch ist nur, dich zu erfreuen.«
    »Warum nennst du mich Iokaste?«, wollte Bera wissen.
    »Wir sind – unter anderem – Ödipus. Du bist Iokaste, Mutter/Geliebte. Wer sonst könntest du sein, nachdem du uns das Leben geschenkt hast?«
    Gib mir die Sprache zurück, dachte Karl und übernahm erneut die Kontrolle. »Ich bin’s wieder, Karl. Loki hält dich für die Reinkarnation von Iokaste, der Mutter von Ödipus, einem mythischen Helden, der sich in Königin Iokaste verliebte und sie heiratete, ohne zu wissen, dass sie seine Mutter war, der man ihn gleich nach seiner Geburt weggenommen hatte.«
    »Äh … ja …«
    »Wir wurden von deiner Brust gesäugt, also bist du unsere Mutter, Bera-Iokaste«, erklärte Loki. »Wir möchten mit dir kopulieren. Du bist schön.«
    Bera hob den Lauf des Gewehrs und richtete ihn auf Karls Gesicht. »Es wird keine Kopulation geben. Hast du das kapiert, Loki?«
    »Er hat noch nicht alle gesellschaftlichen Feinheiten verinnerlicht, Bera«, meldete sich Karl nach einer längeren Pause wieder zu Wort. »Loki weiß jede Menge über Astrophysik und Planetologie, aber leider nichts über das ganz gewöhnliche zwischenmenschliche Leben. Im Grunde genommen ist er nicht einmal ein Er, sondern ein Sie – Plural –, obwohl es einfacher ist, beim Singular zu bleiben und ihn Loki zu nennen. Er mag den Namen, den Ragnar ihm gegeben hat, und er versichert, dass es zu keinem weiteren unangemessenen Benehmen seinerseits kommen wird. Ich habe mit ihm vereinbart, dass wir irgendeinen Weg suchen werden, den Schaden zu beheben, der ihm zugestoßen ist, und die Lücken in seinen Datenbänken zu füllen, sobald wir die Winter Song gefunden haben.«
    »Wer … was ist er? Oder sie?«
    »Mein Schiff hat versucht, in aller Eile einen Notfall-Download von sich durchzuführen.« Karl klang hilflos. »Es hatte nicht

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