Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
langsam den steilen Abhang hinab folgte.
»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte sie. »Und das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um die Karten hervorzukramen.«
»Das wollte ich auch gar nicht vorschlagen«, versicherte er, verletzt durch den indirekten Vorwurf, der in ihrer Antwort mitschwang. Auch er war müde. Trotz seiner diversen genetischen Optimierungen war er letztendlich auch nur ein Mensch, der den ganzen Tag über angespannt im Sattel gesessen und ständig nach gefährlichen Tieren Ausschau gehalten hatte, die ihnen überall auflauern konnten. Wie musste es da erst Bera gehen? Er fühlte Mitleid mit ihr aufsteigen.
»Möchtest du, dass ich vorausreite?« Er verlagerte seine Wahrnehmung wieder in den Infrarotbereich und versuchte, das Halbdunkel zu durchdringen. Das würde ihnen vielleicht nicht mehr als eine halbe Sekunde Vorwarnzeit einbringen, aber diese halbe Sekunde konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.
»Nein, ist schon in Ordnung«, sagte Bera. Auch ihr Tonfall wurde sanfter. »Aber trotzdem, danke für das Angebot«, fügte sie hinzu. »Ragnar ist kaum jemals so weit nach Süden gekommen, jedenfalls nicht, soweit ich weiß, aber ich schätze, dass wir uns hier auf dem Abstieg zum Salturvatn befinden. Wenn ja, geht es jetzt etwa 500 Meter abwärts. Die gute Nachricht ist, dass wir uns dann immer noch auf dem richtigen Weg befinden würden.«
»Gut«, sagte Karl. Seine Vorfahren waren im Lauf der Generationen so genmodifiziert worden, dass er über eine Art eingebauten Kompass verfügte, und Bera hatte ihre Karten, aber Karten und genetische Modifikationen waren eine Sache, pfeifende Schneestürme und ungeplante Umwege wegen angreifender Raubtiere wiederum eine andere.
Genauso übergangslos, wie sie den Rand des Ödlands erreicht hatten, kamen sie aus der Wolke heraus. Karls Augen weiteten sich.
Vor ihnen erstreckte sich ein See bis zum Horizont. »Salturvatn heißt Salzwasser«, verkündete Bera. »Und wie ich vorher schon gesagt habe, lautet die gute Nachricht, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«
»Und die schlechte Nachricht?«, erkundigte sich Karl. Er war fest davon überzeugt, dass jeder guten Nachricht zwangsläufig eine schlechte auf dem Fuß folgte.
»Der Strand wird von einer riesigen Herde Havalifugils bevölkert«, erklärte sie. »Mit etwas Glück haben sie ihre Eier allerdings schon ausgebrütet, sodass sie ihre Brutplätze nicht mehr so aggressiv wie früher im Jahr beschützen.«
Karl unterdrückte das Verlangen, sie mit weiteren Fragen zu löchern, und konzentrierte sich stattdessen auf den Abstieg. Ob man Salturvatn nun als riesigen See oder eher als Binnenmeer bezeichnen sollte, war akademischer Natur, auf jeden Fall aber war das Gebirge auf der anderen Seite so weit entfernt, dass er es nur undeutlich ausmachen konnte. Möglicherweise lag es aber auch nur an den Wolken und nicht an der Entfernung, dass die Berge so verschwommen wirkten.
Als sie den größten Teil des Abstiegs hinter sich gebracht hatten, war es trotz der fortgeschrittenen Tageszeit paradoxerweise wieder heller geworden, da sie sich nicht länger innerhalb der dichten Wolkendecke befanden, und so stellte Karl seine Augen wieder auf normale Lichtverhältnisse ein.
Unvermittelt blieb Teitur vor ihm stehen und gab einen leisen, wimmernden Laut von sich. Bera beugte sich im Sattel vor, betrachtete den Pfad, dem sie folgte, und wartete, bis Karl mit Grainur und Skorri, dem Ersatzpferd, zu ihr aufgeschlossen hatte, bevor sie langsam und vorsichtig zusammen weiterritten.
Sie näherten sich einer Weggabelung, von der aus ein Pfad wieder den Steilhang hinaufführte. »Was ist los?«, fragte Karl. Obwohl er absichtlich leise sprach, hallte seine Stimme unnatürlich laut von den Felshängen wider.
»Spuren«, sagte Bera und deutete auf dunkle Flecken in der dünnen Schneedecke auf dem anderen Pfad. »Ich denke, dass es da oben eine Höhle gibt.«
»Vermute ich richtig, dass das nicht gut ist?«, erkundigte sich Karl. Die Vorstellung, sich für die Nacht in eine Höhle zurückziehen zu können, die ihnen Schutz vor der Kälte bieten würde, war verlockend. Andererseits konnte er sich gut erinnern, das die Höhlen auf allen Welten, die er bisher besucht hatte, in der Regel immer von irgendwelchen gefährlichen Tieren bewohnt gewesen waren.
»Ich bin mir nicht sicher«, gestand Bera, »aber ich denke, dass die Spuren von Snolpelzen stammen.« Sie richtete sich wieder im Sattel
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