Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
auf. »Komm, reiten wir weiter. Lass uns sehen, ob wir irgendwo in der Brutkolonie der Walvögel eine Lücke finden können.«
Sie ritten schweigend den letzten Teil der Wegstrecke bis zu dem steinigen, mit Felsblöcken übersäten Ufer streifen hinab. Die nächsten Minuten schlängelten sie sich im Zickzack zwischen den Felsen hindurch und kamen dabei zwar langsam, aber doch stetig voran. Karl wollte Bera schon fragen, wo denn die ominösen Vögel steckten, von denen sie gesprochen hatte, als sich plötzlich einer der Brocken bewegte und ein Auge öffnete.
Der Havalifugil, der bisher in sich zusammengekauert reglos im Sand gehockt hatte, streckte sich und zog den unter einem seiner Flügel verborgenen Kopf hervor. Karl erblickte einen rund einen Meter langen, spitz zulaufenden Schnabel, spitz genug, um damit mühelos einen Menschen durchbohren zu können. »Das Ding muss mindestens drei Meter lang sein«, murmelte er, als das Tier einen schrillen, trällernden Schrei ausstieß. Er fühlte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen.
»Und dabei ist das nicht mal ein großer«, erwiderte Bera. »Ragnar hat mir erzählt, dass die Biester noch viel größer werden.«
Überall entlang des Strandes gerieten die vermeintlichen Felsblöcke in Bewegung und hoben die unter ihren Flügeln versteckten Köpfe. Diejenigen, die sich dicht aneinandergeschmiegt und kompakte schwarze Haufen gebildet hatten, rückten auseinander und lösten sich in einzelne Tiere auf. Ihre Rufe begannen, von der felsigen Küste widerzuhallen.
»Uh-oh«, machte Bera, als einer der Havalifugils einen besonders lauten Schrei ausstieß. Zwei oder drei bewegten sich stärker, obwohl sich immer noch keiner zu seiner vollen Größe aufrichtete.
»Durch ihre Körperform erinnern sie eher an Robben als an Vögel«, stellte Karl fest. Sie blieben so nahe wie nur möglich an der Felswand, wo die wenigsten Vögel hockten. Zum Wasser hin drängten sich die Havalifugils immer dichter zusammen.
»Um Freyas willen!«, zischte Bera. »Das ist nun wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt für naturwissenschaftliche Studien!«
»Es hält mich davon ab, Angst zu haben, Bera. Wäre es denn besser, wenn ich Angst hätte?«
»Ich habe Angst!«, fauchte sie, um gleich darauf sanfter fortzufahren: »Ich habe im Orakel Bilder von Walrossen gesehen. Die Havalifugils haben äußerlich zwar mehr Ähnlichkeit mit Walrossen, sind aber tatsächlich das isheimurische Äquivalent von Vögeln. Sie ernähren sich von Fisch und sind im Wasser sehr viel beweglicher als an Land. So, kann ich meinen Vortrag jetzt beenden?« Ihr Lachen klang etwas schrill, aber Karl begriff, dass sie versucht hatte, einen Witz zu machen.
»Du würdest eine hervorragende Lehrerin abgeben«, versicherte er. »Sollten wir diese Sache heil überstehen, werde ich dir ein Empfehlungsschreiben ausstellen.«
»Ha, ha«, machte Bera. Sie blickte sich um. »Was mich beunruhigt, ist, wie nervös sie wirken. Es sieht so aus, als würden sie noch immer brüten.« Ihre Stimme klang mit jedem weiteren Wort angespannter und höher. »Sie haben den ganzen Sommer Zeit für die Brut gehabt. Ich bin davon ausgegangen, dass ihre Jungen längst geschlüpft wären.«
Karl erkannte, wie nahe sie davor stand, in Panik zu geraten. »Ich werde mich zwischen ihnen und dir halten«, sagte er.
Der ihnen nächste Vogel stieß einen weiteren Schrei aus, aggressiver als alle seine Artgenossen vor ihm. Sein kegelförmiger Oberkörper schwankte auf der Stelle hin und her. Unter seinem dunklen dichten Federkleid lugte ein deutlich kleinerer Kopf hervor. Trotz der geringeren Größe sah sein Schnabel jedoch genauso spitz und gefährlich aus wie der des Elterntiers.
»Danke«, sagte Bera, »aber du solltest dir lieber eine bessere Gelegenheit für deine Ritterlichkeit aussuchen. Du bist nicht weniger gefährdet als ich.«
Die Pferde schnaubten. Bera machte schnalzende Laute mit der Zunge, um Teitur zu beruhigen, und kraulte ihn hinter den Ohren. Karl folgte ihrem Beispiel und kraulte seinerseits Grainurs Kopf. »Es ist alles in Ordnung, Mädchen«, murmelte er in der Hoffnung, dass er sich nicht irrte. Der Lärm der Vögel und die Nervosität der Pferde ließen seine Haut vor Anspannung prickeln. Sein Mund war trocken, seine Handflächen dagegen feucht. Hätte er nicht besonders aufmerksam nach irgendwelchen anderen Geräuschen gelauscht, die ihm eine Erklärung für die Unruhe der Vögel liefern konnten, wäre ihm das Rasseln, das
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