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Gesund durch Meditation

Gesund durch Meditation

Titel: Gesund durch Meditation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Kabat-Zinn
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Er verkörperte in der Tat das Ideal des humanistischen Mediziners. Einmal in der Woche hielt er in der Klinik eine Herzambulanz ab. Nachdem wir Assistenzärzte einen Patienten untersucht hatten, schaute er kurz herein, um unsere Befunde zu überprüfen, und empfahl dann entweder eine weitere diagnostische Abklärung oder eine Abänderung im Therapieplan. Wenn er sich an die Patienten wandte, tat er dies immer auf sehr beruhigende und bestimmte Weise, und die Patienten nahmen jedes seiner Worte ehrfürchtig auf. Während einer meiner ersten Dienste hatte ich eine Patientin zu untersuchen. Frau S., eine recht attraktive Bibliothekarin mittleren Alters, war wegen einer Verengung an einer der rechten Herzklappen, der Trikuspidalklappe, in die ambulante Behandlung gekommen. Sie hatte eine leichtere Form kongestiver Herzinsuffizienz mit leichten Ödemen in den Fußgelenken, konnte dabei ihrer Arbeit nachgehen und auch ihren Haushalt noch gut bewältigen. Sie erhielt ein Digitalispräparat und wöchentliche Injektionen eines Quecksilber-Diuretikums. Professor Levine, der sie seit mehr als zehn Jahren als Patientin der Klinik kannte, begrüßte Frau S. während seiner Visite besonders freundlich, wandte sich dann an sein großes Ärztegefolge mit den Worten ›Hier haben wir einen Fall von TS ‹ und verschwand wieder aus dem Raum.
    Kaum war er zur Tür hinaus, zeigte sich eine abrupte Veränderung im Verhalten von Frau S. Sie schien furchtbar erschrocken zu sein, atmete heftig und fing dann an zu hyperventilieren. Ihre Haut war schweißbedeckt, und ihr Puls hatte sich auf mehr als 150  Schläge in der Minute beschleunigt. Als ich sie nochmals abhorchte, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass in den Lungen, die noch wenige Minuten zuvor frei gewesen waren, ein feuchtes Rasseln zu hören war. Dies war ungewöhnlich, denn bei einer Verengung der rechten Herzklappe sammelt sich normalerweise keine zusätzliche Flüssigkeit in der Lunge an.
    Ich fragte Frau S. nach dem Grund für ihre plötzliche Erregung. Sie sagte, dass Professor Levine in Bezug auf sie von › TS ‹ gesprochen habe und sie wisse, dass das ›terminal situation‹ (Endstadium) bedeute. Zunächst war ich über dieses Missverständnis und ihre Fehlinterpretation der Abkürzung für den medizinischen Fachbegriff ›Trikuspidalstenose‹ (Herzklappenverengung) amüsiert. Meine Belustigung wich jedoch sehr schnell ernster Besorgnis, als ich sah, dass meine Erklärungen sie nicht beruhigen konnten und der Flüssigkeitsstau in der Lunge sich verschlimmerte. Ich versuchte, Professor Levine zu erreichen, aber er war einfach nicht ausfindig zu machen. Frau S. starb noch am selben Tag an akutem Herzversagen. Wenn ich an diesen tragischen Vorfall zurückdenke, erschauere ich bis auf den heutigen Tag angesichts der unheimlichen Macht des ärztlichen Diktums.«
    Bernard Lowns Bericht zeigt in drastischer Weise, welch enormen Einfluss ein als Wahrheit angenommener Glaube, der im Grunde nichts als ein Gedankenimpuls ist, auf unsere Gesundheit haben kann. Angesichts der Auswirkungen unserer Gedanken und Gefühle auf unsere Gesundheit geht es im Prinzip um die Frage nach den Vorgängen in Gehirn und Nervensystem und nach dem tiefgreifenden und direkten Einfluss, den sie auf unsere Physiologie, kurz auf unseren Körper haben können. Aus praktischer Sicht heißt das, dass die Art unseres Umgangs mit unseren Gedanken und Gefühlen Lebensqualität und Gesundheit sowohl unmittelbar als auch nachhaltig mitbestimmen können.
    Ein Todesfall wie dieser ist in der ärztlichen Praxis glücklicherweise ein sehr seltenes Ereignis; für die Beunruhigungen, Kränkungen und manchmal auch Demütigungen, welche die Patienten im medizinischen Versorgungssystem hinnehmen müssen, gilt dasselbe leider nicht. Vieles davon wäre vermeidbar, wenn Ärzte in ihrer Ausbildung lernen würden, in der Betreuung ihrer Patienten psychologischen und sozialen Aspekten ebenso viel Beachtung zu schenken wie der rein physischen Versorgung. Immerhin zeichnet sich zunehmend eine Veränderung in dieser Richtung ab.
    Viele Ärzte bringen von sich aus diese Sensibilität auf und nehmen – über die hippokratische Weisung hinaus, vor allem keinen Schaden zuzufügen – die empathische Rolle, zu der sie im Verhältnis von Arzt zu Patient angehalten sind, aktiv wahr. Niemandem zu schaden würde freilich voraussetzen, in jedem Augenblick dessen gewahr zu sein, was der Umgang mit einem Patienten in diesem

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