Getäuscht - Thriller
zählen. Jonathan trat einen Schritt näher und rempelte den Mann dabei so kräftig an, dass diesem die Münzen aus der Hand fielen. Klirrend prasselten sie zu Boden.
»Entschuldigen Sie«, sagte Jonathan und ging in die Hocke, um dem Mann beim Aufsammeln der Münzen zu helfen. »Wie ungeschickt von mir.«
»So was kann passieren«, sagte der Mann in gebrochenem Englisch.
Jonathan hielt den Blick unverwandt auf den Gehweg gerichtet und suchte die herumliegenden Münzen zusammen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie zwei Paar blank geputzte Stiefel an ihm vorbeigingen. Als die Polizisten verschwunden waren, stand Jonathan auf und drückte dem Mann die zusammengeklaubten Münzen in die Hand. »Sind das alle?«
Der Mann zählte nach und nickte.
Die Schlange bewegte sich voran. Jonathan trat an den Schalter und tauschte hundert Dollar in britische Pfund. Nachdem er das Geld eingesteckt hatte, ging er weiter die Straße hinunter und hielt sich dabei dicht im Schatten der Häuserwände.
Nach hundert Metern entdeckte Jonathan ein U-Bahn-Schild. Er rannte die Treppen hinunter. Hier war es noch voller als auf der Straße. Der Bahnhof erstreckte sich über die gesamte Straßenbreite. Zwei Polizisten kontrollierten die Durchgangssperren und hielten Ausschau nach einem knapp eins neunzig großen, hellhäutigen Mann mit graumeliertem Haar, der ein weißes Hemd und eine Jeans trug.
Jonathan kaufte eine Fahrkarte und wartete, bis die beiden Polizisten ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick auf die entgegengesetzte Seite des Bahnhofs richteten. Dann passierte er die Eingangssperre und ging schnurstracks zum nächsten U-Bahn-Tunnel, Bakerloo Line in Richtung Norden. Auf seinem Weg durch die gekachelten Tunnelgänge begegneten Jonathan immer weniger Menschen, bis er schließlich allein war. Er stieg die letzte Treppe zum Bahnsteig hinunter. Neunzig Sekunden später ratterte die U-Bahn in den Bahnhof. Fünf Minuten später stieg Jonathan am Bahnhof Marylebone aus.
Er hatte es geschafft. Er konnte gehen, wohin er wollte.
26.
Das Haus Nummer 25 Notting Hill Lane war ein zweistöckiges Stadthaus aus den Zeiten Edwards VII., mit hellblauem Außenanstrich, Gaubenfenstern und schwarz lackierter Eingangstür, an der ein kupferfarbener Türklopfer hing. Als Jonathan die wenigen Treppenstufen zur Eingangstür erklomm und dreimal mit dem schweren Kupferring gegen die Tür klopfte, war es bereits 21.30 Uhr, und die Dunkelheit legte sich über die Stadt. Die Tür wurde fast augenblicklich aufgerissen, sodass Jonathan überrascht zusammenzuckte.
»Hallo«, sagte ein kleines Mädchen mit schwarzen Zöpfen.
»Ist dein Papa zu Hause?«
»Jenny, was machst du da? Du solltest längst im Bett sein.« Eine dunkelhaarige Frau in Gymnastikhose und Strickjacke erschien an der Tür. Jonathan erkannte Prudence, die er am Abend zuvor auf der Cocktailparty kennen gelernt hatte.
»Hallo«, sagte er. »Ist Jamie da?«
»Hallo, Jonathan! Nein, Jamie ist noch im Krankenhaus. Möchtest du reinkommen?«
»Kommt er bald nach Hause?«
»Er müsste jede Minute hier sein. Komm doch rein. Du kannst im Wohnzimmer auf ihn warten.«
Jonathan trat ein, und Prudence schloss die Tür hinter ihm. Sie bat ihn, einen Moment zu warten, bis sie ihre Tochter ins Bett gebracht hatte, und verschwand daraufhin mit Jenny in einem der oberen Zimmer. Jonathan ging zur nächsten Tür und warf einen Blick ins Wohnzimmer. Auf einem Sideboard standen Fotos von Meadows und seiner Familie. Außerdem gab es eine Ledercouch und einen Ottomanen, auf dem eine selbstgestrickte Decke lag. Auf dem Boden türmten sich Spielsachen und Stofftiere.
»Möchtest du was trinken?«, fragte Prudence, als sie die Treppe herunterkam. »Kaffee? Tee? Oder etwas Stärkeres?«
»Ein Glas Wasser, bitte.«
Sie wollte an ihm vorbeigehen, blieb aber unvermittelt stehen, als ihr Blick auf sein Gesicht fiel. »Was ist denn mit dir passiert? Du siehst ja schlimm aus.«
»Ich hatte einen Unfall.«
Prudence stellte sich auf die Zehen und strich wie eine besorgte Krankenschwester mit der Hand über seine Wange. »Alles in Ordnung?«
»Ich bin nur ein bisschen mitgenommen.«
»War das der Grund, weshalb du nicht zu deinem Vortrag erschienen bist? Jamie hat vom Hotel aus angerufen und gesagt, dass alle in heller Aufregung waren. Er wollte dich anrufen, hatte deine Nummer aber nicht.«
»Es ist eine ziemlich lange Geschichte.« Jonathan folgte ihr in die Küche und setzte sich an den Küchentresen.
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