Getäuscht - Thriller
Aktivitäten in Russells Apartment sind nur die Spitze des Eisbergs.«
»Hast du darum gebeten, dass sie dir die Mitschnitte der Anrufe rüberschicken?«
Shaffer nickte. »Ja, aber sie stellen sich stur. Sie haben mir einen Vortrag gehalten, dass die nationale Sicherheit Vorrang vor einer gewöhnlichen Ermittlung hat.«
»Einer Mordermittlung, wenn ich bitten darf.«
»Das habe ich ihnen auch gesagt, aber es hat sie nicht sonderlich beeindruckt.«
Kate beugte sich vor und strich sich nachdenklich mit dem Finger über den Nasenrücken. »Die Frau ist der Schlüssel zu dem Fall. Sie ist das Bindeglied. Von ihrer Kontaktperson hatte Russell den Tipp mit ›Victoria Bear‹. Sie kann uns sagen, wer hinter dem Bombenanschlag steckt.«
»Du musst einen offiziellen Antrag an den Sicherheitsdienst stellen, aber ich würde mich nicht darauf verlassen, dass es dich weiterbringt.«
»Und ich dachte, wir leben im Zeitalter der fortgeschrittenen Kooperation.«
»Das ist fortgeschrittene Kooperation. Früher hätte Five sich nicht mal dazu herabgelassen, meinen Anruf entgegenzunehmen.« Shaffer kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Gibt es keine andere Möglichkeit, die Frau zu finden? Du hast doch gesagt, dass es eine Videobotschaft war. Hast du es mal mit einer Geräuschanalyse probiert? Manchmal finden die Kollegen die verrücktesten Sachen heraus. Radios, die im Nachbarzimmer laufen, Kirchenglocken, die mehrere Kilometer entfernt läuten, alle erdenklichen Geräusche, die etwas über den Wohnort der Anruferin verraten. Dann kannst du die ganze Sache von hinten aufrollen. Sobald du den Radius um den Wohnort der Anruferin auf ein paar Kilometer eingrenzen und die örtliche Netzwerkverbindung bestimmen kannst, findest du auch die Person, die mit Russell in Verbindung gestanden hat.«
»Und wie lange kann so etwas dauern?«
»Ein paar Tage, vielleicht eine Woche - vorausgesetzt, du kommst mit deinem Fall überhaupt zu ihnen durch. Die Wartezeit beträgt derzeit etwa sechzig Tage.«
»Danke für den Tipp, Tony.«
»Tut mir leid, dass ich dir nicht weiterhelfen konnte.«
»Schon in Ordnung.« Kate klopfte ihm zum Abschied auf die Schulter und ging zurück zum Treppenaufgang. Geräuschanalyse, dachte sie. Es musste noch einen besseren Ausweg geben. Sie schüttelte den Kopf. Ausgerechnet Kirchenglocken.
Plötzlich erinnerte sie sich an ein Detail aus der Videobotschaft. Sie hatte sich nicht weiter darum gekümmert, weil sie es zunächst für unwichtig gehalten hatte, aber ...
Kate eilte mit Riesenschritten die restlichen Treppenstufen hinauf und riss ungeduldig die Tür auf, besann sich dann aber eines Besseren. Lass dir nicht anmerken, dass du es eilig hast, dachte sie. Zeig niemandem, dass du auf etwas gestoßen bist.
Kate reckte entschlossen das Kinn vor und ging mit festen Schritten bis zur Ausgangstür. Sie musste sich die Videobotschaft noch einmal anschauen. Dazu musste sie zurück zum Thames House - ob es Graves nun passte oder nicht.
29.
»Licht aus, verdammt!«, rief jemand mit lallender Stimme.
Kate tastete sich vorsichtig in das Büro im ersten Stock des Thames House vor. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie die Umrisse einer Gestalt, die zusammengesunken vor dem riesigen Schreibtisch hockte. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Colonel Graves?«
»Was haben Sie denn hier verloren?« Graves lallte so sehr, dass er kaum zu verstehen war.
Kate tastete mit der Hand nach dem Schalter und knipste das Licht an. Graves hob schützend die Hand vors Gesicht und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen hasserfüllt an. Auf dem Schreibtisch vor ihm standen eine Flasche Whisky und ein kristallenes Whiskyglas, das bis zum Rand gefüllt war.
»Ich konnte Sie nicht erreichen. Ihr Assistent meinte, dass Sie vielleicht hier wären.«
»Erinnern Sie mich daran, dass ich ihn feuere.«
»Was soll das hier eigentlich werden?« Kate deutete auf die Flasche und das Glas.
»Gar nichts. Alles in schönster Ordnung. Im Westen nichts Neues. Sie können unbesorgt zu Ihren Männern zurück.«
»Ich dachte, Sie sind bereits auf halbem Weg nach Timbuktu. Sie und Ihr treuer amerikanischer Bluthund.«
»Ransom? Heißt das, Sie wissen es noch nicht?« Graves schmutziges Lachen schallte durch den Raum.
Kate kam vorsichtig näher. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Er ist weg.«
»Weg? Haben Sie ihn an die Amerikaner ausgeliefert? Haben die am Ende doch noch zugegeben, dass sie ihn
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