Geteilter Tod - Norman, H: Geteilter Tod - Caged
antwortete Martinez. »Wenn wir früh genug Feierabend machen.«
»Machen wir«, versprach Sam.
»Ich habe außer dem neuen Fall noch haufenweise Papierkram zu bewältigen.«
»Wirf alles auf meinen Schreibtisch, bevor du gehst.«
»Grace wird mich hassen, wenn du meinetwegen wieder Überstunden machst.«
»Grace wird jubeln«, gab Sam zurück.
14
Am Mittwochabend machten Elizabeth Price und André Duprez von der Anwaltskanzlei Tiller, Valdez und Weinman Überstunden.
Sie arbeiteten fast immer, ob gemeinsam oder jeder für sich, waren entweder in Besprechungen, mit Mandanten beschäftigt oder bei Gericht, oder sie saßen in ihren Büros oder in der Bibliothek der Kanzlei, wo sie sich durch dicke Bände juristischer Fachliteratur ackerten.
Sie legten nur Pausen ein, um zu essen, Erledigungen zu machen oder Sex zu haben, was sie sehr genossen, obwohl der Ehrgeiz, der beiden Scheidungsanwälten eigen war, sie heftiger antrieb als ihre körperliche Lust.
Sie waren beide Anfang dreißig, und finanziell ging es ihnen recht gut. André, der aus Quebec City stammte, fuhr einen gebrauchten BMW und lebte in einer Eigentumswohnung in Miami Shores. Elizabeth wohnte in einem kleinen Reihenhaus in der Nähe des Maule Lakes in North Miami Beach. Sie waren übereingekommen, dass sie zusammenziehen würden, sobald einer von ihnen Teilhaber der Kanzlei wurde, beabsichtigten aber mit dem Heiraten zu warten, bis sie höhere Gehälter bezogen, denn sie hielten viel von Stabilität und Gleichberechtigung.
Zumeist drehten sich ihre Gespräche um die Arbeit in der Kanzlei. Sie konnten sich endlos miteinander austauschen, wurden niemals müde, den anderen reden zu hören, Ansichten und neue Erfahrungen zu teilen und zu lernen.
Es war bereits nach zweiundzwanzig Uhr, und sie hatten in Andrés Wohnung zu Abend gegessen und dabei gearbeitet. Beide waren erschöpft, aber Elizabeth hatte bereits erklärt, sie könne nicht bleiben, sondern müsse zu sich nach Hause fahren für die Nacht, weil sie seit einer Woche keine Wäsche mehr gewaschen und für die Bürokonferenz am Donnerstagmorgen keine einzige weiße Bluse mehr hatte.
»Aber wir sind noch nicht fertig«, sagte André mit seinem Quebecer Akzent, den Elizabeth so lieben gelernt hatte. »Und du bist müde.«
»Ach, das geht schon«, antwortete sie.
André unterdrückte ein Gähnen und zog die Stirn in Falten. »Ich bin jedenfalls todmüde.«
Elizabeth warf einen Blick auf die Aktenstapel, die sich auf dem Tisch türmten. »Lass uns zusehen, dass wir noch ein bisschen mehr getan bekommen«, sagte sie, »und dann werde ich gehen.«
15
Manchmal hasste Martinez sich selbst.
All sein Gerede, diese ganze Konzentration darauf, es nur ja richtig zu machen - und am Ende machte er nichts richtig, denn er hatte es ja nicht einmal fertiggebracht, die verdammten Worte während des Essens so von sich zu geben, wie er es geplant hatte.
Er hatte Jessica ins Blue Moon ausgeführt, eines der Restaurants im Doubletree Grand Hotel, weil ein Typ, mit dem er sich vor ungefähr zwei Wochen in einer Bar unterhalten hatte, ihm von dem grandiosen romantischen Abend vorschwärmte, den er dort mit seiner Freundin verbracht hatte. Der Bursche hatte wie ein anständiger Kerl gewirkt, und sonst gab es niemanden, den Martinez hatte fragen wollen - nicht einmal Sam. Es war Martinez peinlich gewesen, weil ein Detective mittleren Alters eigentlich wissen sollte, wohin er seine Freundin zu einem Abendessen ausführte. Also hatte er den Rat des Fremden befolgt und im Blue Moon einen Tisch mit Blick über die Bucht reservieren lassen.
Das Problem war nur, dass er den Laden bereits verabscheute, bevor sie ihn überhaupt gefunden hatten. Das Doubletree Grand Hotel war riesig, und es wimmelte von Touristen. Um zum Blue Moon zu gelangen, hatten sie eine Rolltreppe nehmen müssen, was einem das Gefühl vermittelte, in einem verdammten Einkaufszentrum oder in einem Bahnhof zu sein. Als Martinez' wunderschöne Freundin sich an seine schweißnasse Hand klammerte, war er sicher gewesen, dass sie den Trubel genauso sehr verabscheute wie er selbst.
Das Blue Moon selbst erwies sich allerdings als sehr schick, und die Aussicht auf den Jachthafen war großartig, aber es war alles sehr modern und ziemlich unromantisch, bestimmt nicht das Richtige für Jessica Kowalski, ein eher altmodisches Mädchen. Doch kaum hatten sie Platz genommen und Martinez hatte für sie ein Glas Chardonnay und für sich selbst ein Bier bestellt,
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