Geteilter Tod - Norman, H: Geteilter Tod - Caged
sie unter der Woche immer zu ihren Kostümen trug - nicht nur zur Arbeit, sondern auch hinterher, weil sie meist direkt vom Büro aus losgingen, um gemeinsam etwas zu trinken oder zu Abend zu essen. Auch André trug an den meisten Tagen die eng anliegenden Hemden von Brooks Brothers, die im Film zu sehen waren.
Nur Elizabeths schulterlanges dunkelbraunes Haar sah in jeder Einstellung anders aus; mal war es hinten zusammengebunden, mal offen, in manchen Sequenzen auch nach hinten gesteckt mit den Schildpattspangen, die sie gelegentlich benutzte. Doch Elizabeth war viel zu verwirrt, als dass sie auch nur hätte versuchen können, sich daran zu erinnern, welche Frisur sie bei welchem Anlass getragen hatte.
Ihr wurde vom Zuschauen ganz schwindlig, denn trotz des abgehackten, ruckartigen Schnitts war es ein zusammenhängender Film, der immer wieder vom Anfang bis zum Ende gespielt wurde. Manchmal führten sie und André ein ernstes Gespräch, manchmal redete der eine, und der andere hörte aufmerksam zu; dann wieder fochten sie eines ihrer vehementen Rededuelle aus.
Und schließlich, am Ende der letzten Einstellung - am Ende des Bandes, das nun gleich wieder von vorn ablaufen würde -, fuhr die Kamera ganz nah an ihre Gesichter heran, an ihre Lippen, sodass ihre Münder noch größer wirkten. Elizabeth wurde jedes Mal übel, wenn dieser Moment kam, und sie hätte am liebsten weggeschaut, wäre da nicht das schreckliche, an abergläubische Vorahnung grenzende Gefühl gewesen, mit dem makaberen Film würde zugleich ihrer beider Leben enden, wenn sie wegschaute.
Was hatte das Ganze zu bedeuten?
Elizabeth hatte zu viel Angst, um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, panische Angst, sich Gedanken darüber zu machen, wer das Band abspielte und von wo aus, und ob man ihr dabei zusah, wie sie es sich anschaute. Sie erstickte diese Fragen im Keim, schaltete den neugierigen, forschenden Teil ihres Verstandes ab, der stets ein wichtiger Bestandteil dessen gewesen war, was Elizabeth Price als Person ausgemacht hatte. Stattdessen starrte sie dumpf auf die Leinwand, auf der immer wieder die zusammengestückelten Bildfolgen abrollten.
Am liebsten hätte sie geschrien.
Und sie wusste, wenn es noch lange so weiterging, würde sie es tun.
Was dann aber zur Folge haben könnte, dass der Regisseur dieses Spielfilms mehr tat, als sie nur zu beobachten.
Vielleicht kam er dann zu ihnen.
»Bitte«, sagte sie leise. »Bitte, bitte, bitte.«
Wieder warf sie einen Blick auf André, auf den Mann, den sie liebte. Und plötzlich fühlte sie sich hin- und hergerissen zwischen der Erleichterung, dass er nicht leiden musste, und der Wut, dass er nicht für sie da sein konnte.
»Bitte ...«, sagte sie noch einmal.
Und richtete den Blick wieder auf die Leinwand.
Auf die beiden Menschen, die ihr in ihrem gepeinigten Hirn immer mehr wie Fremde vorkamen.
27
Am Donnerstagnachmittag hatte Grace zusammen mit Joshua Einkäufe getätigt.
Am Morgen hatte sie zwei Patienten behandelt und dann bis zum nächsten Tag frei gehabt. Sie hatte sich gefühlt, als gebe der Sonnenschein ihr neuen Auftrieb. Sie waren wegen Kürbisravioli bei Laurenzo's gewesen, hatten auf dem Wochenmarkt Fisch und Obst gekauft und alles Weitere bei Publix besorgt. Obwohl sie schon mehrere Einkaufstaschen bei David zu Hause ausgeladen hatte, war der Kofferraum des Toyotas immer noch randvoll.
Jetzt war sie in Sauls Wohnung, hatte Joshuas Windel gewechselt, saß auf der stillen Terrasse und nippte an einem Glas Eistee. Cathy war gerade aus dem Café gekommen und erklärte, sie wolle am Strand eine Runde laufen, sobald sie sich von dem riesigen Teller Penne erholt habe, den Dooley nach ihrer Schicht für sie gekocht hatte. Saul war bei Grace' Ankunft nebenan gewesen, in seiner kleinen angemieteten Werkstatt. Dort arbeitete er an einem Tisch und Stühlen aus Buchenholz, die man bei ihm bestellt hatte; die Möbel sahen so schön aus, dass Grace ganz stolz war auf ihren jungen Schwager. Und jetzt empfand sie das Gleiche Cathy gegenüber, die so glücklich aussah und so optimistisch wirkte.
»Onki Sah«, rief Joshua plötzlich. Saul, der ein abgeschnittenes T-Shirt und Shorts trug, stieß einen jauchzenden Laut aus und nahm seinen Neffen hoch. Dann gesellte Cathy sich zu den beiden und kitzelte ihrem kleinen Bruder den Bauch.
»Kaffee!«, kreischte Joshua voller Freude.
»Joshi!«, rief Cathy lachend zurück.
»Mommy!« Joshua drängte Grace, einzustimmen, doch sie saß
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