Geteilter Tod - Norman, H: Geteilter Tod - Caged
Augen.
»Er wird schon wieder«, versuchte Sam sie zu beruhigen. »Er ist stark.«
»Nicht so stark«, erwiderte Jessica. »Er ist ein Softie.«
»Das weiß ich«, gab Sam zu.
Sie waren auf der Intensivstation und blickten auf Martinez, wie er dalag mit all den Schläuchen und Kabeln.
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mich einen Moment bei dir anlehne?«, fragte Jessica.
»Aber nein«, sagte er.
Und wünschte sich dabei innig, dass Cathy nicht gesagt hätte, was sie gesagt hatte.
Solche Worte waren wie spitze Nadeln, die einem in Körper und Geist stachen, selbst wenn sie hinterher zurückgenommen wurden.
Und Martinez war zu sehr daneben, um überhaupt zu bemerken, dass er und Jessica da waren.
Wieder sehnte Sam sich danach, nach Hause zu fahren, zu Grace.
Je früher, desto besser.
72
22. Februar
Es war wieder Sonntag. Inzwischen waren vier Tage vergangen, seit man die Resslers aufgefunden hatte. Gut war, dass es immer noch keine Vermisstenmeldung gab, die neue Panik ausgelöst hätte, aber schlecht war, dass jeder im Team den Eindruck hatte, als drehten sie sich bei den Ermittlungen im Kreis.
Und dann, wie aus dem Nichts, ergab sich eine mögliche Spur.
Ein Mann namens Ludo Birkin, der seit Donnerstag, dem zwölften Februar, nicht in der Stadt gewesen war, der aber in der Wohnanlage Juniper Terrace lebte, hatte auf dem Revier angerufen, um mitzuteilen, er habe André Duprez' BMW gesehen, als er am Abend vor seiner Abreise gegen dreiundzwanzig Uhr die Tiefgarage des Gebäudes verlassen hatte.
Am Mittwoch, dem elften Februar.
An dem fraglichen Abend.
»Hat der Mann gesagt, dass Duprez am Steuer saß?«, wollte Sam von Mary Cutter wissen, die ihm die Neuigkeiten überbrachte.
»Das geht aus der Telefonnotiz nicht klar hervor«, antwortete sie.
Falls es sich bewahrheitete, würde ihnen das endlich helfen, den Zeitrahmen für das zweite Verbrechen zusammenzustückeln; entweder würde es aufzeigen, dass Duprez weggefahren war, um die Nacht in Elizabeths Haus zu verbringen, oder dass er sich auf den Weg zu ihr gemacht hatte, weil sie nach Hilfe gerufen hatte. Es konnte auch darüber Aufschluss geben, dass Duprez das Temazepam, das man später in seinem Körper fand, zu diesem Zeitpunkt entweder noch nicht eingenommen hatte oder dass es noch nicht ausreichend Zeit gehabt hatte, seine Wirkung zu entfalten - Details, die den Fall später bei einem Prozess untermauern würden, falls es je dazu kam, die aber nicht von unmittelbarem Nutzen waren.
Wenn dieser Mann jedoch meinte, es sei nicht Duprez gewesen, machte ihn das zu einem möglicherweise entscheidenden Zeugen.
Und da sie heute ohnehin keine Möglichkeit hatten, zu Beatty Management zu fahren, um nachzuprüfen, wo Moore und Beatty sich an sämtlichen infrage stehenden Daten aufgehalten hatten, war Ludo Birkin an diesem Sonntag die Nummer eins auf ihrem Tagesprogramm.
Und einfach nur so zum Spaß bewaffnete Sam sich mit drei Fotos: eines von Beatty, eines von Moore und eines von Anthony und Karen Christou.
Gott wusste, dass sie endlich mal ein bisschen Glück brauchten. Es war längst überfällig.
73
Da Sam auch an diesem Sonntag wieder arbeitete, hatte Grace den kleinen Joshua bei Mildred gelassen und war gekommen, um Martinez zu besuchen und Jessica ein wenig zur Seite zu stehen.
Sam hatte ihr am Abend zuvor erzählt, dass die junge Frau befürchtete, Martinez würde nicht überleben. Grace hasste sich für diesen Gedanken, aber sie zog in Erwägung, dass Jessica möglicherweise ein Mensch war, der auf krankhafte Weise nach Aufmerksamkeit lechzte. Und ein noch hässlicherer Gedanke: Die Krankheit ihres Verlobten verschaffte Jessica vielleicht genau die Aufmerksamkeit, nach der sie sich so verzehrte:
Sams Aufmerksamkeit.
Es waren würdelose, gemeine Gedanken, die Grace an eine Zeit vor ein paar Jahren erinnerten, als sie gegenüber einer anderen jungen Frau unberechtigte Zweifel gehegt hatte.
»Hast du deine Eltern angerufen, Jessica?«, fragte Grace jetzt.
»Um Himmels willen, nein.«
»Wieso nicht? Würde es dir denn nicht helfen, mit ihnen zu reden?«
»Eher nicht«, entgegnete Jessica, »weil es darauf hinauslaufen würde, dass ich sie trösten müsste, und dafür habe ich weder die Zeit noch die Kraft, weil ich Al tausend Prozent von mir geben will.« Sie hielt kurz inne, fuhr dann fort: »Die einzigen Menschen, die verstehen, was ich hier durchmache, seid ihr, Sam und du. Sam noch mehr als jeder andere, weil er Al am
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