Geteilter Tod - Norman, H: Geteilter Tod - Caged
viele hübsche Mädchen zu sehen.«
»Der ist vielleicht ein Kerl«, sagte Cathy kopfschüttelnd zu Jessica. »Wie alle Kerle«, erwiderte Jessica, ein mattes Lächeln auf den Lippen. Aber ihre Augen lächelten nicht mit, bemerkte Cathy.
Zwanzig Minuten später stand sie auf, um zu gehen, weil Martinez einen ermüdeten Eindruck auf sie machte. Sie beugte sich vor, gab ihm einen Kuss auf die Wange, drückte seine Hand und spürte, wie er den Händedruck erwiderte. »Sei schön brav«, sagte sie. »Bin ich immer.«
Jessica erhob sich ebenfalls. »Ich begleite dich nach draußen.«
»Das brauchst du nicht«, sagte Cathy.
»Ich möchte mir aber gern ein bisschen die Beine vertreten.«
Sie liefen an der Schwesternstation vorüber und auf die Fahrstühle zu.
»Stimmt was nicht?«, fragte Cathy.
»Das könnte man so sagen«, antwortete Jessica.
Cathy blieb stehen und drehte sich so, dass sie ihr ins Gesicht schauen konnte. Sie sah, dass Jessicas Miene wütend und bekümmert zugleich war. »Was ist los?«, fragte Cathy. »Du siehst wütend aus.«
»Du wirst es nicht hören wollen«, erwiderte Jessica.
»Das käme auf den Versuch an.«
»Du wirst mir wahrscheinlich nicht mal glauben.«
»Das werden wir nie herausfinden, wenn du es mir nicht erzählst.«
Jessica schaute sich um und überzeugte sich, dass niemand so nahe bei ihnen stand, dass er hätte mithören können.
»Dein Vater hat versucht, mir an die Wäsche zu gehen«, sagte sie dann.
»Und der Papst ist ein Rabbiner«, antwortete Cathy, in der Wut hochschoss.
»Ich habe dir ja gleich gesagt, dass du mir nicht glaubst«, meinte Jessica.
»Und damit hattest du recht«, erwiderte Cathy wütend. »Ich hatte die Nummer, die du abziehst, schon auf der Party bei meinen Eltern durchschaut. Ich traue dir nicht, und im Moment bin ich mir nicht einmal sicher, ob du überhaupt weißt, was Wahrheit ist, aber ich glaube kein einziges Wort, das du von dir gibst.«
»Vielen Dank«, gab Jessica zur Antwort, Tränen in den Augen.
»Das scheinst du auch ziemlich gut zu können«, sagte Cathy schroff.
»Sam hat vorgestern Abend versucht, sich an mich heranzumachen.« Jessica sprach mit sanfter, leiser Stimme, und jedes ihrer Worte wirkte gedehnt. »Seitdem kämpfe ich damit.«
»Na, dann kämpf mal hübsch weiter«, parierte Cathy. »Ich kann dir versprechen, dass es dir nicht gelingen wird, Sam oder Grace mit diesem Mist zu verletzen. Aber sollte Martinez auch nur eine Winzigkeit mehr verletzt werden, als es unbedingt sein muss, wenn du ihm den Laufpass gibst, wirst du jede Menge Leute an deinem gehässigen kleinen Hals haben.«
Eine Krankenschwester ging an ihnen vorüber. Cathy konnte am Gesichtsausdruck der Frau erkennen, dass sie die letzten Worte mitbekommen hatte.
Mit einem Mal war sie erschüttert über ihren eigenen Zorn und hasste es, wie es sich anfühlte, wie die Wut ihr den Magen zusammenzog und ihr Herz zum Rasen brachte.
»Du bist böse auf mich«, sagte Jessica, »und das kann ich verstehen.«
Cathy traute sich selbst nicht gut genug, um auch nur noch ein weiteres Wort zu sagen.
»Aber dir wird schon noch bewusst, dass ich die Wahrheit sage«, fuhr Jessica fort, »und dass dein Dad keineswegs der Superheld ist, als den du ihn gern siehst.«
Das würde sie auf gar keinen Fall so stehen lassen. »Du verlogenes kleines Drecksbiest.«
»Schon okay«, sagte Jessica. »Ich kann das verstehen.«
»Ach, verpiss dich!«, zischte Cathy und drehte sich auf dem Absatz um.
Als sie das Erdgeschoss erreichte, zitterte sie noch immer vor Wut.
Drecksbiest.
Sie erwog, gar nichts zu tun und einfach zu versuchen, diese unschöne Begegnung für sich zu behalten, doch sie war hundert Prozent sicher, dass Jessica das nicht zuließ.
»Drecksbiest«, rief sie.
Und machte sich auf den Weg zu ihrem Mazda.
86
»Mir ist, als wäre das unsere letzte Chance, noch aus dieser Klemme herauszukommen«, sagte Sam um elf Uhr dreißig am Telefon zu Martinez, nachdem er zu dem Schluss gelangt war, dass sein Partner vermutlich recht hatte und dass es seiner Gesundheit eher förderlich als abträglich war, ihn auf dem Laufenden zu halten.
Außerdem war es vielleicht das Beste, Martinez' Gedanken auf die Arbeit zu lenken. »Ich habe deinen Ahnungen immer vertraut«, sagte sein Partner jetzt. Seine Stimme klang immer noch schwach und ein bisschen fremd, aber zumindest konnte man mit ihm reden, und das fand Sam großartig.
»Ich hoffe nur, dass ich nicht überreagiere, weil
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