Getrieben - Durch ewige Nacht
es zwei: zum einen die schreckliche Situation im vergangenen Herbst, als sie gedacht hatte, Perry sei von den Krähern gefangen genommen worden, und zum anderen, als sie Roar im Snake River nicht hatte finden können. Und schließlich erzählte sie ihm von ihrem traurigsten Augenblick: dem Moment, als sie ihre Mutter gefunden hatte. Sie sprach über Perry, erzählte ihm Dinge, die sie noch nie einem Menschen anvertraut hatte.
Bitte verschone mich nie mit der Wahrheit
, hatte Roar einmal zu ihr gesagt. Und nun hielt sie sich nicht länger zurück, konnte gar nicht anders, selbst wenn sie gewollt hätte. Perry war immer in ihrem Herzen.
Aria teilte Roar auf diese Weise so viel mit, dass es sich schließlich ganz natürlich anfühlte und sie nicht mehr darüber nachdachte,
was
sie dachte, sondern einfach nur dachte. Roar hörte alles, wusste, was sie dachte, so wie Perry ihre Stimmungen witterte. Gemeinsam kannten diese beiden sie besser, als sie sich selbst kannte.
Aria hatte den Trost eines Ortes gesucht. Vier Wände, ein Dach und ein Kissen, auf das sie ihren Kopf betten konnte. Doch jetzt wurde ihr bewusst, dass die Menschen, die sie liebte, ihrem Leben Form und Inhalt verliehen und ihr Halt gaben. Perry und Roar waren ihr Zuhause.
Zwei Tage später näherte sich ihre Flussfahrt dem Ende. Der Snake River hatte sie weit vorangebracht und Arias Knie die Chance gegeben, zu heilen, aber jetzt bog er nach Westen ab, und sie mussten das letzte Stück bis zu den Tiden zu Fuß zurücklegen.
»Eineinhalb Tagesmärsche nach Süden«, teilte Maverick ihr mit. »Vielleicht länger, falls das dahinten euch aufhalten sollte.« Er deutete mit dem Kopf auf einen gewaltigen Äthersturm, der sich in der Ferne zusammenbraute. Dann warf er einen Blick auf Roar, der am Kai wartete. Maverick hatte kein einziges Wort von ihm gehört, ihn immer nur abwesend auf das Wasser oder in den Himmel starren sehen. »Du weißt, dass du etwas viel Besseres finden könntest, Marienkäferchen.«
Aria schüttelte den Kopf. »Nein, kann ich nicht.«
An diesem Tag kamen sie gut voran und machten die Nacht über Rast. Am nächsten Morgen konnte Aria kaum glauben, dass sie nach fast einem Monat an diesem Nachmittag wieder bei den Tiden sein würde.
Sie fühlte sich wie eine Versagerin, denn sie hatte nicht herausgefunden, wo sich die Blaue Stille befand. Liv hatten sie auch nicht mitgebracht. Es brach ihr das Herz, als sie sich vorstellte, wie schrecklich es für Perry sein würde, wenn er erfuhr, was geschehen war.
Aria kramte in ihrem Beutel nach dem Smarteye und legte es an. Das Gerät hatte sich kaum an ihrer Haut festgesaugt, als sie sich auch schon in das Opernhaus bilokalisierte. Sofort wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Die Sitzreihen und Logen schwankten, als würde sie sie durch eine Wasserwand sehen. Ein paar Schritte entfernt stand Soren, mit hochrotem Kopf und einem panischen Ausdruck in den Augen.
»Ich hab nur ein paar Sekunden, bis mein Vater mich aufspürt. Es geht zu Ende, Aria. Hier bricht alles zusammen. Wir sind von einem schweren Sturm getroffen worden und haben einen weiteren Generator verloren. Alle Systeme der Biosphäre versagen. Sie versuchen nur noch, den Schaden, so gut es geht, zu begrenzen.«
Aria schnappte nach Luft. Es schien, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube verpasst. »Wo ist Talon?« In der Realität richtete sich Roar neben ihr auf.
»Er ist bei mir. Mein Vater hat Sable kontaktiert.«
»Wie das denn …?«
»Er konnte dein Smarteye aufspüren und wusste dadurch, dass du es an dich genommen hast. Also hat er ein paar Männer mit einem anderen Eye nach Rim geschickt … nachdem du fort warst«, erklärte Soren. »Hess und Sable bereiten sich darauf vor, zur Blauen Stille aufzubrechen. Mein Vater hat diejenigen ausgewählt, die er mitnehmen will, und sie getrennt von den anderen in einer der Versorgungskuppeln untergebracht. Niemand mit DLS darf mit. Er hat den Rest von uns im Panop eingesperrt.«
Aria versuchte zu begreifen, was Soren gesagt hatte. »Dein Vater
lässt dich zurück
?«
Soren schüttelte den Kopf. »Nein. Er wollte, dass ich mitkomme, aber ich kann nicht weg. Ich kann doch nicht all diese Menschen hier sterben lassen. Ich dachte, ich könnte die Schleusen von innen öffnen, aber ich schaffe es nicht. Talon ist hier drin, Caleb und Rune – einfach alle.
Du
musst uns hier herausholen. Wir haben das Notaggregat eingeschaltet, aber das wird nur ein paar Tage reichen. Und das
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