Getrieben - Durch ewige Nacht
»Wirklich.« Dann wandte sie sich ab, und Perry fragte sich, ob sie vielleicht zu dicht beieinandergestanden hatten. Konnten sie sich nicht unterhalten, wenn sie so taten, als wären sie Verbündete? War ein Lächeln bereits zu viel? Dann sah er, was sie gehört hatte.
Willow stürmte über den Weg auf sie zu, Flea an ihrer Seite. Der Hund preschte als Erster heran, legte die Ohren an und blieb mit gebleckten Zähnen vor Aria stehen.
»Keine Angst«, beruhigte Perry sie. »Er tut nichts.«
Aria wich nicht von der Stelle, wippte aber auf den Fußballen vor und zurück, um schnell reagieren zu können. »Er sieht aber nicht so aus«, wandte sie ein.
Roar hatte ihm erzählt, dass sie sich in den letzten Monaten zu einer geschickten Kämpferin entwickelt hatte. Jetzt bemerkte Perry den Unterschied. Sie wirkte stärker und reaktionsschneller und schien besser mit Angst umgehen zu können.
Er zwang sich, den Blick von ihr abzuwenden, und kniete sich auf den Boden. »Sacht, Flea. Nicht so hastig.« Flea bewegte sich vorsichtig vorwärts und beschnüffelte Arias Stiefel. Er wedelte langsam mit dem Schwanz, ehe er schließlich an ihr hochsprang. Perry strich ihm über das drahtige, schwarzbraune Fell. »Er gehört Willow. Die beiden sind unzertrennlich.«
»Dann ist das Willow?«, fragte sie.
Perry richtete sich auf und sah, wie Willow an Gren und Twig vorbeistürmte und sie dabei hastig begrüßte. Dann sprang sie in seine Arme, wie sie es schon im Alter von drei Jahren getan hatte. Mit dreizehn war sie eigentlich etwas zu groß dafür, aber da es ihn zum Lachen brachte, setzte Willow dieses Ritual fort.
»Du hast gesagt, du würdest nur ein paar Tage fort sein«, sagte sie vorwurfsvoll, als Perry sie absetzte. Sie trug ihre übliche Montur – staubige Hosen, staubige Stiefel, staubiges Hemd und rote Stoffstreifen, die sie in ihr dunkles Haar geflochten hatte. Sie stammten von den Teilen eines Rocks, den ihre Mutter im Winter für sie genäht hatte und den Willow jedoch beim Tragen zerrissen hatte.
Perry lächelte. »Es waren ja auch nur ein paar Tage.«
»Kam mir aber wie eine Ewigkeit vor«, erwiderte Willow und musterte Aria argwöhnisch mit ihren dunkelbraunen Augen.
Als man sie das erste Mal aus Reverie hinausgeworfen hatte, war Aria eindeutig als Siedlerin zu erkennen gewesen. Sie hatte mit schriller, abgehackter Stimme gesprochen, ihre Haut war weiß wie Milch und ihr Geruch muffig und abstoßend gewesen. Diese Merkmale waren inzwischen verblasst, doch jetzt fiel sie aus einem anderen Grund auf – derselbe Grund, weshalb Twig und Gren sie die letzten beiden Tage angestarrt hatten, wenn sie sich unbeobachtet fühlten.
»Roar hat mir schon gesagt, dass eine Siedlerin kommen würde«, verkündete Willow schließlich. »Er sagte, ich würde dich mögen.«
»Ich hoffe, er hat recht«, antwortete Aria und tätschelte Flea den Kopf. Der Hund saß inzwischen dicht neben ihrem Bein und hechelte freudig.
Willow hob das Kinn. »Flea scheint dich jedenfalls zu mögen, dann tue ich es vielleicht auch.« Stirnrunzelnd schaute sie zu Perry hoch, der ihre Stimmung wahrnahm. Normalerweise verströmte Willow einen klaren Zitrusduft, aber jetzt schob sich ein dunkler Farbton in die Ränder seines Sichtfelds, der ihm verriet, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist passiert, Will?«, fragte er.
»Ich weiß nur, dass Bear und Wylan auf dich warten und nicht besonders glücklich aussehen. Ich dachte, das solltest du wissen.« Willow zuckte die Schultern und lief dann davon, dicht gefolgt von Flea.
Perry steuerte auf das Dorf zu und fragte sich, was ihn dort wohl erwartete. Bear, ein Baum von einem Mann, mit sanftem Herzen und von der Feldarbeit ständig schmutzigen Händen, hatte die Leitung über alles, was im Dorf mit Landwirtschaft zu tun hatte. Der schlanke, mürrische Wylan war der oberste Fischer der Tiden. Die beiden stritten ständig darüber, wo die größeren Ressourcen der Tiden lagen – ein nie enden wollender Kampf zwischen Land und Meer. Perry hoffte, dass es sich nur darum handelte.
Aria ging selbstbewusst neben ihm, als sie durch das Haupttor auf den Platz in der Mitte des Dorfes gelangten, aber er witterte den kühlen Ton ihrer Angst. Er sah sein Zuhause mit ihren Augen – ein Kreis von Hütten aus Holz und Stein, verwittert von der salzigen Luft – und fragte sich erneut, was sie wohl dachte. Das Dorf war nicht annähernd so komfortabel wie Marrons Delphi und erst recht kein Vergleich zu all dem, was
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