Getrieben: Thriller (German Edition)
Menschen getötet. Ich musste es tun. Es ging nicht anders. Trotzdem macht es mir immer noch zu schaffen. Es gäbe noch viel dazu zu sagen, aber genau das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Um für ihre und meine Schuld zu büßen. Wenn ich schon so naiv war, nicht mitzubekommen, dass die Frau, mit der ich das Bett geteilt habe, eine Spionin ist, sollte ich mich zumindest zum Teil für ihre Taten mitverantwortlich fühlen. Stell dir vor, bis vor drei Monaten kannte ich noch nicht einmal ihren richtigen Namen. Sie heißt Lara und ist Russin. Sie ist nicht einmal Amerikanerin. Verrückt, oder?«
Vor dem Fenster hielten zwei mit Maschinengewehren bestückte Pick-ups. Talibankämpfer sprangen von der Ladefläche und stürmten in die Krankenstation. Die Tür des OP-Raums wurde aufgerissen. Ein groß gewachsener Mann mit dem Auftreten eines machtgewohnten Führers trat ein. In der Hand trug er ein Jagdgewehr mit Zielfernrohr. Ein kleinerer Mann folgte ihm dicht auf den Fersen. Er nahm Hamid in den Polizeigriff und zwang ihn auf die Knie. Sechs kampfbereite Krieger stürmten in den Raum und richteten ihre Waffen auf Jonathan.
Jonathan trat einen Schritt zur Seite. »Ich operiere gerade«, sagte er ruhig. »Lassen Sie meinen Assistenten los, und verlassen Sie bitte den Raum.«
Der hochgewachsene Anführer kümmerte sich nicht um Jonathans Einwände und rührte sich nicht von der Stelle. »Sie sind der Heiler, von dem alle erzählen«, stellte er in fehlerfreiem Amerikanisch fest.
Jonathan musterte ihn eingehend. Seit Wochen hatte ihn niemand mehr auf Amerikanisch angesprochen. »Ich bin Arzt.«
»Ich muss Sie bitten, mit mir zu kommen.«
»Wir können unser Gespräch gerne fortführen, wenn ich hier fertig bin.«
»Sie werden jetzt sofort mitkommen.«
Einer der Taliban trat an den OP-Tisch, zog eine Pistole aus dem Gürtel und drückte den Lauf gegen Aminas Stirn. Sein Blick wanderte erwartungsvoll zum Gesicht des Anführers.
Dieser schlug die Hand des Mannes mit der Waffe weg und blickte Jonathan direkt in die Augen. »Wie lange wird das hier noch dauern?«
»Drei Stunden. Ich habe Sie bereits einmal gebeten, den OP-Raum zu verlassen. Jetzt muss ich wohl noch deutlicher werden. Verschwinden Sie auf der Stelle, und nehmen Sie Ihre Männer mit.«
»Eine ziemlich gewagte Antwort für einen Mann in Ihrer Lage, Dr. …«
»Ransom. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«, konterte Jonathan, obwohl er die Antwort bereits kannte. Die langen, gekrümmten Fingernägel des Mannes waren ihm ebenso wenig entgangen wie die klobige Casio G-Force an dessen Arm und die Gravur »W. Barnes USMC« auf dem Gewehr. »Ich nehme mal an, dass Ihr Name nicht Barnes lautet.«
»Mein Name ist Sultan Haq.« Haq gab den Befehl, Hamid loszulassen, und reichte einem der Männer sein Gewehr. »Wer ist das Mädchen?«
»Sie heißt Amina und hatte einen Unfall.« Jonathan erklärte, was geschehen war und wie er versuchte, ihr Gesicht chirurgisch wiederherzustellen. Haq hörte ihm so aufmerksam zu wie ein Assistenzarzt bei der Visite seinem Chefarzt.
»Sie sind ausgesprochen begabt«, sagte der Habicht. »Das ist nicht zu leugnen. Sie können das Gesicht des Mädchens weiteroperieren. Aber ihre Hände können noch warten.«
»Das Mädchen hat lange genug gewartet«, sagte Jonathan.
Einer von Haqs Kämpfern platzte unvermittelt ins Zimmer. »Eine Drohne«, rief er aufgeregt, stürzte zum Fenster und deutete mit dem Finger zum Himmel.
Haqs Männer redeten wild durcheinander. Einige verließen eilig die Krankenstation und rannten zu Fuß zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Andere ballten die Hände zu Fäusten und richteten sie mit lauten Drohungen und Beschimpfungen gegen Jonathan. Nur Sultan Haq blieb ungerührt stehen. Er musterte Jonathan skeptisch und abschätzend. »Sind Sie von der CIA?«, fragte er schließlich noch genauso gleichmütig.
»Nein.«
»Vom MI6? Oder vielleicht vom Mossad? Sind Sie hier, um mich zu töten?«
»Nein.«
»Warum haben Sie sich dann in dieses abgelegene Dorf gewagt, fernab jeder Hilfe?«
Jonathan betrachtete das schlafende Mädchen auf dem OP-Tisch. »Um ihr zu helfen.«
»Dann sind Sie wahrhaftig ein Kreuzritter«, stellte Haq bewundernd fest.
Ein dreckverschmiertes Gesicht blickte von draußen durch das Fenster. »Falscher Alarm«, rief der Mann. »Keine Drohne. Nur ein Kampfjet. Er hat abgedreht und fliegt in Richtung Norden.«
Haq legte eine Hand auf Jonathans Schulter. »Das ist
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