Getrieben: Thriller (German Edition)
wegdrehen konnte, packte ihn jemand mit eisernem Griff am Arm und schleuderte ihn zu Boden. Ehe er begriff, was passiert war, lag er da, das Gesicht seitlich auf den Boden gepresst und den Arm im Polizeigriff auf den Rücken gedreht.
»Kehren Sie nie einem Fremden den Rücken zu.«
»Loslassen«, stieß Jonathan zwischen den Zähnen hervor. »Sie brechen mir noch den Arm.«
»Haben Sie gesehen, wie ich das Zimmer verlassen habe?«
An ihrem Akzent erkannte Jonathan das Zimmermädchen. »Nein«, sagte er aus dem Mundwinkel.
»Haben Sie auf dem Flur einen Putzwagen gesehen oder ein Namensschild an meinem Kittel?«
»Nein.«
»Sind Ihnen in der Lobby viele Gäste begegnet? Standen viele Autos auf dem Parkplatz?«
»Äh … äh …«
»Können Sie mir auch nur einen guten Grund nennen, warum ich Ihr Zimmer so spät am Nachmittag noch reinigen sollte, wenn das Hotel so gut wie leer ist?«
»Ähm … nein.«
»Also, sind Sie nur naiv oder einfach vollkommen verblödet? « Das Zimmermädchen verlieh ihren Fragen ein wenig Nachdruck, indem sie den Griff um Jonathans verdrehten Arm noch etwas verstärkte. »Hat Ihnen noch nie jemand gesagt, dass Sie keiner Menschenseele trauen dürfen?«
»Gehen Sie runter von mir!«
»Versuchen Sie, sich selbst zu befreien. Schließlich sind Sie ein kräftiger Bursche. Also, worauf warten Sie noch? Ich wiege knapp fünfundfünfzig Kilo. Damit werden Sie doch wohl fertig, oder?«
Jonathan versuchte mit aller Gewalt, das Mädchen auf seinem Rücken abzuschütteln. Als ihm das nicht gelang, probierte er, mithilfe des anderen Arms auf die Knie zu kommen. Er war kein Kampfsportexperte, hatte aber im Laufe der Jahre ein bisschen Jiu-Jitsu und Krav Maga gelernt. Außerdem war er kräftig. Doch das Zimmermädchen wehrte all seine Versuche mühelos ab, und der Griff um seinen Arm schien nur noch schmerzhafter zu werden. »Das reicht jetzt«, sagte er schließlich, als sie ihn wieder zurück auf den Boden gezwungen hatte.
»Sie müssen jederzeit auf der Hut sein und sich stets nach dem Warum, Wo, Wie und Wieso fragen. Ein flüchtiger Blick genügt nicht. Sie müssen genau hinschauen und zu beobachten lernen.«
Jonathan starrte auf den gemusterten Teppich vor seiner Nase. Er konnte gar nicht anders, als zu beobachten , dass es ein blauer Teppich mit grünen Tupfern war.
Unvermittelt gab das Zimmermädchen Jonathans Arm frei und ging von seinem Rücken herunter. Jonathan blieb noch ein paar Sekunden regungslos liegen und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Ohne ihn – getreu ihren Ratschlägen – auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen, ging das Mädchen an Jonathan vorbei zu den geschlossenen Fenstern und sagte: »Stehen Sie auf, und ziehen Sie sich etwas an.«
Mühsam rappelte sich Jonathan hoch und humpelte ins Bad. Als er mit einem Handtuch um die Taille zurückkam, hatte das Mädchen den Putzkittel ausgezogen und die hochgebundenen Haare gelöst. Sie war groß, nicht hübsch, aber durchaus attraktiv. Ihre Haare waren schwarz und glatt, die Augen blau und die Haut wettergegerbt. Jonathan schätzte ihr Alter auf Mitte dreißig.
Bei den meisten Menschen fiel es Jonathan nicht schwer, ihre Nationalität zu erkennen, doch bei dem falschen Zimmermädchen konnte er nur raten. Sie hätte alles sein können: Amerikanerin, Französin, Argentinierin oder Schwedin. Jonathan hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie ein ähnlich umtriebiger Geist sein könnte wie er selbst und überall in der Welt zu Hause war. Ihre Lippen waren spröde, und sie trug nur wenig Make-up. Ihre Oberarme waren sehr muskulös mit deutlich hervortretenden Adern. Um einen Gegner wie Jonathan flachzulegen, brauchte sie wohl kaum den schwarzen Gürtel, dafür reichte allein ihre Muskelkraft. Die Fingernägel waren kurz geschnitten und die Hände kräftiger, als den meisten Frauen wohl lieb wäre. Kein Wunder, dass der Schlag in die Nieren so schmerzhaft gewesen war. Jonathan spürte auch, dass die Frau ähnlich wie er selbst sich lieber abseits von großen Menschenmassen aufhielt und einen Ausflug in die Wildnis dem Gang in die Stadt vorzog. Dieses seltsame Gefühl der Seelenverwandtschaft beunruhigte Jonathan. So war es ihm bislang nur mit Emma gegangen.
»Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einer Blumenkette und einem Willkommensdrink?«, fragte er.
»Das hier ist kein Urlaub, Dr. Ransom, sondern eine Art Trainingslager. Uns bleibt nicht viel Zeit, und nach dem zu urteilen, was ich gerade gesehen habe,
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