Getrieben: Thriller (German Edition)
häufig. Emma saß mit einer heißen Tasse Darjeeling als Muntermacher und einem Fläschchen Vicodin gegen ihre Schmerzen in einem hohen Ledersessel in Balfours Büro. Balfour war im Besitz von noch ganz anderen, weitaus wirkungsvolleren Mittelchen gegen die Schmerzen. Emma hätte ihn nur darum bitten müssen. Waffen waren vielleicht seine größte Leidenschaft, doch Drogen standen gleich an zweiter Stelle.
Sein weitläufiges Anwesen hatte er, völlig zu Recht, auf den Namen Blenheim getauft. Auf den edlen Parkettböden lagen kostbare Perserteppiche. Im Büro fanden sich neben Regency-Schreibtischen auch Gobelins an den mit Walnussholz getäfelten Wänden und lebensgroße Ölgemälde im Stil von Sargent oder Gainsborough von längst verstorbenen (und garantiert nicht mit Balfour verwandten) Ahnen. Jedes Mal, wenn Emma aus dem Fenster blickte, rechnete sie fest damit, auf die regennassen Hügel Oxfordshires zu schauen. Stattdessen bekam sie einen grandiosen Blick auf die violett schimmernden Berge des Hindukusch geboten.
»Außer Ihnen weiß also niemand von dem Fund?«, bohrte Emma weiter.
Balfour schüttelte den Kopf.
»Sicher?«
»Wir befinden uns in Pakistan. Sicher ist hier gar nichts. Wir geben uns für gewöhnlich mit einem ›Wahrscheinlich‹ zufrieden und hoffen das Beste.«
Emma stand auf und kam zu Balfour an den Tisch herüber. »Ich würde gerne noch einen Blick auf den Rest der Fotos werfen.«
Balfour breitete eine Reihe Farbfotos vor sich auf dem Tisch aus. Auf ihnen war der Marschflugkörper vollständig freigelegt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen.
»647 AHB«, las Emma laut. Es war die Kennnummer des Marschflugkörpers. »Wissen Sie, was das für eine Bombe ist?«
»Das da ist eine luftgestützte Cruise Missile der Firma Boeing von circa 1980. Mit Waffen kenne ich mich aus.«
»Ich meinte, was diese Kennzeichnung bedeutet.« Emma deutete auf eines der Fotos, auf dem die Kennnummer deutlich zu erkennen war. »Vor allem das Kürzel AHB.«
Balfour trank einen Schluck Tee aus seiner Wedgwood-Tasse. »Das ist die amerikanische Kennzeichnung für eine Bombe mit atomarem Sprengkopf«, entgegnete er und musterte sie prüfend. »Ist das ein Problem für Sie?«
»Warum sollte es? Auch ich kenne mich schließlich mit Waffen aus.«
Balfour warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Ich wusste gleich, dass es eine gute Idee war, Sie aus der Wüste herauszuholen. Wir zwei sind ein geradezu göttliches Gespann.«
»Finden Sie?«, konterte Emma. »Vom entgegengesetzten Ort dürfte wohl passender sein.«
Das theatralische Gelächter Balfours steigerte sich noch um ein paar Nuancen.
Emmas Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Für einen Moment spürte sie fast so etwas wie Zuneigung für Balfour. Vor gut einer Woche war sie über seinen Anblick so froh gewesen wie noch nie zuvor bei einem Menschen.
Nach der Folterung durch Prinz Raschid hatte sie stundenlang mit gebrochenen Knochen und gebrochener Seele in der Wüste gelegen. Nicht nur die Schmerzen hatten alle Hoffnung auf Rettung in ihr zunichtegemacht, sondern auch der vorangegangene Verrat, die Ursache für ihre Misere. Wieder und wieder waren ihr Raschids Worte durch den Kopf gegangen: »Wer ist Ihr Auftraggeber? Die CIA? Das Pentagon?« Dahinter konnte nur Connor stecken. Niemand sonst. Die blanke Wut hatte ihr die Kraft verliehen, aufzustehen und das Unmögliche zu versuchen. Die vielen Opfer der vergangenen Jahre hatte sie nicht auf sich genommen, um von Gott und der Welt verlassen elendig in einem fremden Land zu verrecken. Oh nein. Nicht nach allem, was sie erreicht hatte. Nicht eine Frau von ihrem Format. Fünfzig qualvolle Schritte hatte sie sich vorwärtsgeschleppt, bis Balfour sie gefunden hatte, und sie war sich nicht sicher, ob sie es auch nur einen einzigen Schritt weiter geschafft hätte.
Balfour hatte sie in einem seiner Privatjets nach Pakistan geflogen und sich darum gekümmert, dass sie medizinisch versorgt wurde und sich erholen konnte. Doch Emma war von Anfang an klar gewesen, dass er dafür eine Gegenleistung von ihr fordern würde.
»Woher wollen Sie wissen, dass Sie mir trauen können?«, hatte sie gefragt, nachdem sie aus dem Schlimmsten raus war und Gelegenheit fand, sich zu erkundigen, weshalb Balfour sie überhaupt gerettet hatte.
»Sie und ich sind aus dem gleichen Holz geschnitzt«, sagte Balfour. »Auch Sie können nirgends mehr hin.«
»Und woher wollen Sie das wissen?«, hatte sie
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