Gevatter Tod
Energie, die spät in der Nacht ein Ventil sucht – und die man am nächsten Mittag bereut. Mort brauchte unbedingt Bewegung, um seine Muskeln daran zu hindern, aus schierem Übermut zu platzen.
»Ich gehe zu Keli«, sagte er. »Du kannst offenbar nichts für sie tun, aber vielleicht bin ich in der Lage, ihr zu helfen.«
»Wächter stehen vor ihrem Zimmer«, antwortete Schneidgut. »Das sei nur der Form halber erwähnt. Ich weiß natürlich, daß es für dich nicht den geringsten Unterschied macht.«
Mitternacht in Ankh-Morpork. Nun, es spielte eigentlich keine Rolle: In der großen Zwillingsstadt bestand der einzige Unterschied zwischen Tag und Nacht darin, daß es nach Sonnenuntergang dunkler war. Auf den Marktplätzen herrschte das übliche Gedränge, und in den Bordellen ging es so turbulent zu wie eh und je. Verlierer im ewigen und undurchschaubaren Bandenkrieg schwammen mit Bleigewichten an den Füßen stromabwärts, und Dealer, die illegale und auch unlogische Freuden anboten, gingen ihren heimlichen Geschäften nach. Einbrecher brachen ein. Mörder mordeten. Messer blitzten im matten Sternenlicht, das auf dunkle Gassen herabglänzte. Astrologen begannen mit ihrem Tageswerk. Ein Nachtwächter, der sich in die Schatten verirrt hatte, hob seine Glocke und rief: »Zwölf Uhr und alles ist arrgghh…«
Die Handelskammer von Ankh-Morpork wäre sicher nicht sehr erfreut gewesen, wenn jemand behauptet hätte, der wichtigste Unterschied zwischen der Stadt und einem Sumpf sei die Anzahl der Alligatorbeine. Kritiker übersehen leicht die Tatsache, daß es in Ankh einige ausgewählte Bereiche gibt (vor allen Dingen auf den Hügeln), in denen man auf Wind hoffen darf, der den allgemeinen Gestank davonweht. Wenn man Glück hat, trägt eine sanfte Brise sogar die recht angenehmen Aromen von Träumesüßblüten und Duftegut-Veilchen heran.
In dieser besonderen Nacht gesellte sich Salpeter hinzu. Der Amtsantritt des Patriziers 7 jährte sich zum zehntenmal; aus diesem Grund hatte er einige Freunde (insgesamt fünfhundert) auf einen Drink zu sich eingeladen und veranstaltete ein Feuerwerk. Im Palastgarten ertönten Gelächter sowie ein gelegentliches Stöhnen der Leidenschaft, und der Abend erreichte gerade sein interessantestes Stadium: Alle Anwesenden hatten mehr getrunken, als für sie gut war – aber noch nicht genug, um einfach umzufallen. In diesem Zustand ist man zu Dingen fähig, die einem für den Rest des Lebens die Schamesröte ins Gesicht treiben. Man bläst zum Beispiel ungeniert in Papiertröten und lacht so laut, daß es einem das Zwerchfell zerreißt.
Rund zweihundert Gäste des Patriziers taumelten und hüpften durch die sogenannte Schlangenreihe, vergnügten sich mit einem eher sonderbaren morporkianischen Volkstanz, der nur wenige Bedingungen stellte: Man mußte viel getrunken haben, den Vordermann – oder die Vorderfrau – an der Taille festhalten, dauernd kichern und ab und zu laut schreien. Mit ohrenbetäubendem Gebrüll zog das menschliche Krokodil durch möglichst viele Zimmer (vorzugsweise durch solche mit zerbrechlichen Gegenständen), und die einzelnen Tänzer gaben sich große Mühe, in irgendeinem meist recht individuellen Takt das Bein zu heben. Dieses bunte Treiben dauerte schon seit einer halben Stunde. Inzwischen hatten die Feiernden praktisch alle Räume durchquert, und unterwegs schlossen sich ihnen mehr oder weniger freiwillig weitere Leute an, unter ihnen zwei Trolle, der Koch, der Oberfolterer des Patriziers, drei Kellner, ein Einbrecher, der zufällig vorbeikam, und ein kleiner Sumpfdrache.
Irgendwo in der Schlangenmitte wankte der dicke Lord Rodley von Quirm, Erbe des berühmten Quirm-Anwesens. Derzeit galt seine Aufmerksamkeit in erster Linie den dünnen Fingern, die ihn an der Taille berührten. Zwar schwamm das Gehirn in einem hochprozentigen Alkoholbad, aber einige Gedanken befreiten sich lange genug aus der Anästhesie, um den Sprechorganen einen Befehl zu übermitteln.
»Na so was!« rief er über die Schulter, als sie zum elftenmal grölend durch die riesengroße Küche schwankten. »Bitte nicht so fest.«
ES TUT MIR AUSSERORDENTLICH LEID.
»Nichts für ungut, alter Knabe«, erwiderte Lord Rodley, hob das rechte Bein und verlor fast das Gleichgewicht. »Sind wir uns schon einmal begegnet?«
DAS HALTE ICH FÜR UNWAHRSCHEINLICH, WÜRDEST DU MIR BITTE DIE BEDEUTUNG DIESER SELTSAMEN AKTIVITÄT ERKLÄREN?
»Was?« rief Lord Rodley, um ein lautes Klirren zu
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