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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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hoch zum Himmel fuhr und am Himmelsgewölbe wieder herunterbrach. Habe ich nicht, wenn die Eltern außer Haus waren, noch Jahre danach kleine Kartons, in die ich Fenster und Türen geschnitten hatte, auf die glühenden Kaminkohlen gestellt, um sie von innen leuchten und zugrunde gehen zu sehen, voller Entsetzen und immer und immer wieder?
    Mirkos italienische Freundin wollte dann eines Tages nicht mehr mit ihm zusammen »Mito« sein. Sie hatte einen jungen Söldner kennengelernt. Seine Geschichten haben ihr den Kopf verdreht. Plötzlich prahlte sie vor dem Jungen damit, daß der andere Phosphorwunden gesehen hatte, die im Fleisch qualmen und brennen, ohne daß man sie löschen kann. »Er gehört zu einem Privatunternehmen, das in Krisengebieten für den Ausbruch von Feindseligkeiten sorgt«, behauptete Mirko. Ob ich das aber richtig verstanden habe? Söldner ist doch schon schlimm genug. Vielleicht hat es sich der unglückliche Junge bloß ausgedacht in seiner Verzweiflung, in seinem schrecklichen Kummer, aus dem ihm weder Sabine noch ich helfen konnten. Wir alle drei mußten ohnmächtig zusehen, wie sich das Mädchen durch Grausamkeit bezaubern ließ.
    Es ist mir eingefallen wegen Finnlands Liedchen, bevor der Wendepunkt des Abends, und nicht nur das, eintrat. Auch so ein sympathischer Mensch, der Fotograf! Er erzählte, ich weiß nicht weshalb, von seiner frühesten Begegnung mit Blut, nämlich im Gesicht des Großvaters, der sich beim Rasieren regelmäßig geschnitten, die Wunden mit Alaunstein behandelt und dazu immer laut ein bestimmtes Volkslied von einer Exekution gesungen habe. Finnland wußte nur noch die erste und die letzte Strophe, und ich, ich kannte sie auch noch, erkannte sie wieder.
    »Es geht bei gedämpfter Trommel Klang:
    Wie weit noch die Stätte! Der Weg wie lang!
    O wär’ er zur Ruh und alles vorbei!
    Ich glaub’, es bricht mir das Herz entzwei!« sagte der eigentlich schüchterne, nun wohl auch schon sacht betrunkene Fotograf halb singend und fuhr fort:
    »Es haben dann neun wohl angelegt;
    Acht Kugeln haben vorbeigefegt.
    Sie zitterten alle vor Jammer und Schmerz –
    Ich, aber ich traf ihn mitten ins Herz.«
    »Bravo«, rief Herr Zock, »aber ein Volkslied ist es nicht, sondern eine Komposition von Robert Schumann. Ehre wem Ehre gebührt!«
    Daraufhin streckte Magdalena Zock den Daumen in die Luft, wie es beim Wettraten im Fernsehen die siegreichen Kandidaten machen, und stellte fest: »Mein Bruno weiß einfach alles. Und der Marzenino, den ihr trinkt, der wird schon in der Oper ›Don Giovanni‹ besungen. Auch das hat Bruno rausgekriegt.«
    Herr Hans aber, der während des Vortrags übers ganze Gesicht gestrahlt hatte, sagte in seiner wetterleuchtenden Art: »So! So? Und wer hat den Text zum Schumann-Lied geschrieben? Keiner weiß es? Keiner? Bruno Zock? Nein? Da duckt ihr euch alle weg! Hausaufgabe bis zum nächsten Mal!«
    Ich fing schon an, mich darauf zu freuen. Als ich wieder aufwachte, wurde sehr herzhaft gelacht. Doch nicht etwa über mich, weil man mich beim Schlafen erwischt hatte? Schnell lachte ich blindlings mit, wie Herzer, als er vom Telefonieren kam. Im Fernsehen stand ein Erwachsener mit Brille und ohne Haare vom Tisch auf und schlug, während geklatscht wurde, ein Rad nach dem anderen.
    Ach, dieses »nächste Mal«!
    Aber wer den Text geschrieben hat, das kriegte Sabine noch in derselben Nacht heraus. »Andersen / Chamisso!« rief sie vom Bücherregal her, als alle fort waren. Dann haben wir beide, sie und ich, beim Aufräumen immerzu das düstere Liedchen gesungen,immerzu, bis Sabine stutzte, als hörte sie erst jetzt den Text wirklich, mit ihrem Verstand oder Herzen. Da setzte sie sich hin und fing mitten in der Küche an zu weinen, bitter und bitterlich wie in Volksliedern. Ich hätte es wissen müssen. Was ich nicht weiß: Weinte sie wegen Mirkos Tod oder wegen der Abreise von Hans?
    Bei der Zeitangabe »das nächste Mal« hatten wir alle an einen Abend in zwei oder allerhöchstens vier Wochen gedacht. Hans nicht. Seine Pläne waren andere. Wir fühlten uns alle gerade so wohl nach Magdalenas gutem Essen und Bruno Zocks Don-Giovanni-Wein, nach Ilonas Schrecken und dem Auftauen des kühlen Ehepaars Herzer im warmen Schein unserer Sonne Hans vom Hochmoor.
    Da plötzlich erhob er sich, gerade, als Hehe einen seiner stets wirkungsvollen Witze zum besten gab, und sah, als wäre der Witz das Signal gewesen, alle blitzschnell der Reihe nach mit seinen, wenn er wollte,

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