Gewäsch und Gewimmel - Roman
Reihenfolge aufgestellt hätten, wer denn wohl über die Abreise am unglücklichsten und wer vielleicht sogar ein bißchen glücklich (Herzer?) darüber sei – übertrumpfte sie beide: »Meiner war Kerkermeister!«
Damit ging das auch schon vorbei. Sie erinnerten sich mürrisch, daß die meisten am nächsten Morgen früh zur Arbeit mußten und wehrlos in den Straßenverkehr, teilweise in die öffentlichen Verkehrsmittel mit der unerwünschten Nähe zu den Leuten. Doch jetzt kam Bäders große Stunde, der Auftritt von Boris, der als Geliebter der Galeristin galt, sich aber auch als Favorit von Hans fühlte wegen seiner hübschen, knabenhaften Jugend. Wie hätte unserem Hans aber erst Sabines schöner Sohn gefallen!
»Herr Scheffer«, so Bäder etwa, »freut sich über nichts so sehr, als wenn sich erweist, wie alles und jedes auf der Welt zusammenhängt, wie sich alles letztlich fügt und ineinanderwirkt. Diese Lust an der Vernetzung geht nicht auf seinen Beruf als, Verzeihung, höherer Gärtner zurück, sondern der Beruf auf diese Neigung.« Ich glaube, Bäder errötete vor Stolz über seinen Scharfsinn. War er nicht jung und altväterlich zugleich?
Hans sei, so ungefähr fuhr er fort, halbwegs und großzügig geurteilt, ein Indianer.
Alle glotzten ihn an. Auch den Männern, den Herren Herzer, Hehe, Zock und Finnland gelang es nicht, ihre Verblüffung zu verbergen. Vor Ergötzen sprang der Junge auf, setzte sich aber gleich wieder hin.
Hans ein Indianer? Hans mit Federn auf dem Kopf?
Und nun holte dieses Knäbchen, dem unser Herr Scheffer die Geschichte einmal, wohl angetan von seinem Jungensgesicht,erzählt haben muß, tatsächlich die Ferne des Landes Alaska in unser Zimmer und in unseren Trübsinn.
Vor zwei, drei Jahren war der uns nun so sehr und doch erst vor einer halben Stunde entschwundene Hans, um sich einen Kindheitstraum zu erfüllen, in die kanadisch-nordamerikanische Grenzregion gefahren und ins eisige Alaska, in das alte Goldgräbergebiet am Yukon, von dem er so viel gelesen hatte. Er wollte irgendeiner hiesigen Auserwählten einen echten Nugget kaufen und ein Schmuckstück daraus machen lassen. Herr Hans vom Hochmoor in Alaska, wo vor weit über hundert Jahren die Goldsucher aus aller Welt in endlosen Trecks über die mörderischen Pässe gezogen waren, klein und schwarz, einer hinter dem anderen die weißen Bergflanken hoch!
Lag auf Bäders Gesicht nicht ein Abglanz unseres Lieblings, ein Widerschein unserer ausgerissenen Sonne?
Ich sah es vor mir. Hans fand in keinem der Souvenirshops etwas Geeignetes. Bei einem letzten Versuch in einem abgelegenen Geschäft entdeckte er schließlich dann doch noch ein passendes Stück. Eine junge Indianerin bot es ihm lächelnd an, drüben, auf dem amerikanischen Kontinent, im wüsten Alaska, am Ende der Welt. Hocherfreut war unser Herr Hans, aber das Mädchen gab sich noch nicht zufrieden. Es bestand darauf, ihm ein Zertifikat anzufertigen, daß es sich um echtes Gold handele, falls er einmal an einen Weiterverkauf dächte. Dafür mußte sie seinen Namen wissen. Hans sagte also: »Scheffer, Johannes« und begann, für die Urkunde zu buchstabieren. Das Mädchen wies die Hilfe jedoch liebenswürdig zurück. Der Name sei kein Problem für sie, sie heiße ja selbst so.
Kein Wunder natürlich, daß sich das Bürschchen Boris nun an unserem Erstaunen weidete. Und wir, noch verdutzt, stellten uns die ungläubige, eventuell gereizte Miene des Herrn Scheffer vor, der einen Moment nicht souveräner Beherrscher der Situation war. Er mochte das nicht, das wußte auch ich mittlerweile.
Um die Angelegenheit zu klären, holte die Indianerin den Urgroßvater aus einem Hinterstübchen hervor. Der hat ja zwei völlig verschiedene Augen, habe Herr Hans gedacht, und: So sehen also die Hochbetagten bei den Indianern in Wirklichkeit aus. Er habe noch nie einen so alten Mann gesehen. Es sei dann aber noch besser gekommen. Der freundliche, sicher bald hundertjährige Greis war, so legte er Hans sehr umständlich dar, vor schätzungsweise achtzig Jahren aus einem Land namens Schlesien, wo jetzt lauter Russen wohnten, ausgewandert. Sein Vater sei Tagelöhner gewesen und habe insgesamt dreizehn Kinder gezeugt. Er sei der drittälteste gewesen, nämlich der Ernst, und er habe hier in Alaska eine Indianerin geheiratet, deren Sohn wieder eine Indianerin und so fort. Kurzum, Herr Hans stand in einem winzigen Kaff, im Grunde nicht weit weg vom Nordpol, vor seinem Großonkel, und das
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