Gewäsch und Gewimmel - Roman
niederzwingenden Augen an. Dann verkündete er in einschmeichelndem Tonfall, als sollte etwas Schönes folgen, er müsse jetzt weg, müsse sich jetzt sofort zurückziehen von uns, diesmal für einen längeren Zeitraum, für eine unbestimmte Weile. Ein Flugzeug warte bekanntermaßen nicht, nicht mal auf ihn.
Das Gepäck, falls er nicht scherze, sei wohl schon am Flughafen? erkundigte sich Magdalena Zock mit wackliger Stimme. Ob er ihn fahren solle, fragte der Metzger hoffnungsvoll. Er war doch sein Freund! Keine Umstände, einen schönen Abend weiterhin wünsche er, sagte Herr Hans jedoch förmlich, ohne Erbarmen. Er sah auf die Uhr. Waren wir denn Fremde geworden?
Und dann fing ich an zu schwitzen, ich wußte gar nicht, daß ich noch so schwitzen kann. Ich hörte nicht mehr, ob die anderen fragten und ihn bestürmten, wie lange man denn mit seiner Abwesenheit rechnen müsse, nur so in etwa, wenigstens ungefähr? Der Schweißausbruch rührte von einer schrecklichen Angst her. Angst in den Ohren, Angst in den Kniekehlen, es gabnichts anderes mehr von mir. Was sollte es denn auch sein? Die Hitze wallte mir bis unter die Augen. Niemand sah meine Lippen einschrumpfen, so daß ich dauernd mit der Zunge drüber hinwischen mußte. Ich habe jede kleinste Bewegung von Hans verfolgt und gehofft, daß er darin steckenbleiben würde, daß ihn die Tischdecke einwickeln, daß er stolpern, daß ein abgerissener Knopf ihn hindern, daß die Stehlampe ihn verletzen würde mit ihren dämlichen Spießen, daß die Zeit gelähmt, irgendwie zum Stoppen gebracht würde durch seine allerletzten Gesten und er sich verhaspelte und uns allen und dem Tristanweg, erst recht nicht Sabine und mir, entkommen würde. Ich rührte mich ja nicht vom Fleck. Darum hat es niemand gemerkt. Und doch fürchtete ich, Hans selbst könnte meine Angst bis zu sich hin hören, so dröhnte sie, und sie würde ihn belustigen.
Passierte das Magdalena, dem Metzger, Jeanette und all den anderen auch? Ich sah schlecht, ich mußte mir dauernd die Augen reiben. Da spürte ich, wie eisig meine dünnen Finger waren. Ob er noch ein einziges Mal, davon hing alles ab, zu mir in mein Eckchen käme? Was würde er zu meinen Frostpfoten im stark geheizten Zimmer sagen, unser Herr Hans, der meist wegsah, um uns das Gefühl zu ersparen, von ihm bis auf die Seelenknöchelchen durchschaut zu werden?
Schon war er uns, glatter als ein Fisch, höflich entschlüpft, hatte uns einfach abgeschüttelt, und ich dachte entsetzt: Er ist uns leid und kehrt nicht mehr zu uns und seinem Schutzgebiet zurück. Mir brach, ganz für mich, in meiner kleinen Abgeschiedenheit fast der Brustkorb zusammen.
Im Moment bin ich natürlich hochzufrieden, weil ich hier nach Herzenslust marschieren kann, heute sogar ohne Stiefel. Endlich ist wieder alles vermengt, ich mit dabei. Wie es strömt und dampft zwischen Erdgeruch und Gezwitscher! Als ich krank im Bett lag, schabte im trockenen Wind eine Woche lang der Rhododendron von außen an den Scheiben, von morgensbis abends, kratzte scheußlich mit den harten Blättern am Glas und kein Ende war abzusehen.
Ein bestelltes Taxi wartete auf Hans. Er war fort, hatte uns nicht mal in der Eile die Hand gegeben. Keiner sagte was, keiner bewegte sich. Nur Herr Zock schüttete allen zur Schmerzbetäubung kräftig seinen Don-Giovanni-Wein nach. Da klingelte es stürmisch an der Haustür, die eben hinter Hans ins Schloß gefallen war.
Sabine lief, und unser Hans stand wieder im Zimmer!
Die Begeisterung war riesig. Noch keiner hatte sich ja vom Schrecken erholt, aber nun ging vor Erleichterung ein großes Lärmen los. Hans hatte nur einen Jux gemacht.
So verhielt es sich dann aber doch nicht. Er vermißte lediglich seinen Schirm, und während Iris, wie sie später bekannte, noch überlegte, ob sie ihn, um Hans festzuhalten, verstecken solle, war meine gute Sabine schon losgesprungen, um das Ding, einen karierten Kinderschirm, herbeizuschaffen. Er war ihm sicher bei irgendeiner Verlegenheit geschenkt worden. Hans nahm sich die Zeit, Sabine mit einem angedeuteten Handkuß, den sie sich durch ihre Redlichkeit verdient hatte, zu danken, verschwand zum zweiten Mal und nun, zumindest für länger, unwiederbringlich. Eigentlich hätte er unseren Abschiedsschmerz in seinem Rücken wie eine Zugluft oder besser als ein Reißen spüren müssen. Wer sollte uns jetzt so schön durchschauen wie er, wenn er den Blick schonungsvoll von uns wegwandte?
Stille! Iris tat als erste den
Weitere Kostenlose Bücher