Gewäsch und Gewimmel - Roman
Mund auf und fragte Sabine, ob sie wisse, daß der Tristanweg früher »Schweinestieg« geheißen habe. Dann wandte sie sich zu Magdalena und erkundigte sich, was eigentlich mit diesem Hans gewidmeten Kastanienbaum sei. Die entzückende Ilona, das »Mamsellchen«, das sich gut von dem vor ein paar Stunden erlebten Schock erholt hatte, flüsterte daraufhin, nicht weit von meinem Eckchen weg, zu Hehe, der noch immer, seit uns Hans entschwunden war, wie vom Donnergerührt dastand: »Das hätte sie in der Gegenwart von Herrn Scheffer nicht riskiert!«
Der Abend war noch nicht zu Ende, ich kann ihn aber heute nicht mehr fertig kriegen. Dann eben morgen der große Auftritt von Boris Bäder. Mir zittern die Beine jämmerlich. Sofort nach Haus also! Ich komme einfach nicht zum Schluß mit diesem speziellen Abend. Es muß die Winterschwäche sein, dieses blödsinnige Gliederschlottern. »Schweinestieg«! Woher wollte die glitzernde Frau, wie heißt sie noch, Steinert, ja Steinhart, das denn wissen? Vielleicht hatte sie es nur aus Eifersucht auf meine grämliche, von Herrn Hans durch Luftkuß geehrte Sabine erfunden.
Da winkt mir schon recht freundlich unser Haus zu, nein, eigentlich gierig, das liegt an den vielen Krokusschlünden in diesem Jahr. Es ist diesmal die reinste Blühraserei, genauso wie sich die Vögel vor Freude die Seele aus dem Federbrüstchen schreien. Daß mir der Frühling jetzt noch einmal, wie früher doch immer, in einer leibhaftigen Menschengestalt zusammengefaßt ist!
Zum »Tiger« von Sabine kommt mir gerade in den Sinn, daß sie mir in einer sehr vertraulichen Stunde gesagt hat, es tue ihr leid, Mirko einen solchen Taugenichts als Vater verschafft zu haben. Daß er von ihr schnell in die Wüste geschickt worden sei, solle ich als Versuch der Wiedergutmachung ihres Fehlgriffs ansehen. Immerhin aber habe sie ihren Sohn im Stehen an einer Mauer empfangen, »nicht in der üblichen Unterwerfungshaltung im Bett, Mutter.«
5. Wanderung
Wie unsere Katze manchmal lange ihren leeren Futternapf anstarrt! Genau so habe ich wochenlang vom Bett aus im leeren Himmel nach dem Naturschutzgebiet Ausschau gehalten. Und so, wie sie Marienkäfer auf der Stuhllehne beobachtet, um sich abzulenken, so hatte ich Ersatz durch den Narzissentopf auf dem Fensterbrett.
Dieser Narzissentopf, der hier eines Tages aufgetaucht ist, der war es doch, der mich gesund gemacht hat.
Als ich immer drinnen sein mußte, unerbittlich in den vier Wänden wegen der Lungenentzündung, da ist mir das Dreigestirn wieder eingefallen. Metzger, Mädchen, Jäger. Es wird am Ende gar nichts bedeuten, ich komme ja nicht dahinter. Und doch! Am stärksten sind mir die Glühköpfe der Jäger erschienen, wie sie das fröhliche Durcheinander der Natur beendet und Ordnung geschaffen haben, so daß die lebendigen Schafe, alle wie von einem Sturm geblasen, in eine einzige Richtung sahen und die erschossenen Hasen in Reih und Glied aufgehängt waren. Gerade das hat die Jäger selbst so brodelnd lustig gemacht. Sie rochen stark nach einem Sekret. Vermutlich hat sich der korrekte Herr Finnland nicht wegen der Hasen, sondern wegen dieses drüsigen Geruchs übergeben müssen.
Hans ließ uns an jenem Abend als kalte Asche ohne irgendein Fünkchen zurück. Ach mein Gott, wie aufgedreht versuchten diese großen Kinder, ich durfte mich ja totstellen im Winkel, das zu vertuschen!
Wo war er hin? Mußte er andere Projekte besichtigen, Vorträge halten? Ging es um eine Frau? Ich weiß nicht mehr, wer welche Vermutung äußerte, wir waren alle gelähmt, auch in unserer Phantasie, wohl besonders wegen der Brüskheit, mit der sich Hans entzogen hatte. Zählten wir überhaupt nicht für ihn?
Ausgerechnet Jeanette Herzer wollte verhindern, daß alle gleich aufbrachen. Sie verlangte wahrhaftig, man solle die Berufe der Großväter nennen und erzählte auch sofort auf ihre stoßweise Art, die mich jedesmal beklommen machte, ihrer sei Sprengmeister gewesen – vielleicht war Ilonas Unglück an dem Einfall schuld – und habe oft davon geschwärmt, wie Bauwerke wunderbar senkrecht gefallen seien und wie man später die Technik mit Wasserwerfern und Hydroschilden zur Staubvermeidung bei Sprengung von Hochhäusern elegant vervollkommnethabe. Da fuhr ihr Magdalena in die Parade und schrie: »Meiner war Braumeister, haha! Der hat den Staub, den Ihrer, Jeanette, verursachte, mit Bier gelöscht!« Iris Steinert – immer noch besser, als wenn sie, ein neues Spielchen, eine
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