Gewäsch und Gewimmel - Roman
reizend fremdartige Mädchen war noch in einem Ausmaß verwandt mit ihm, daß er sie ungestraft lange und herzlich an seine Brust drücken durfte, was sie, wiederum lächelnd, geschehen ließ unter den Augen des Urgroßvaters. Allerdings habe er leider ihren Vornamen nicht behalten.
»Im Flugzeug ist man fix in Amerika«, meldete sich Finnland, für seine Verhältnisse ziemlich frech, »warum sollte er nicht gerade jetzt auf dem Weg dorthin sein, um sich den Namen ein für alle Mal aufschreiben zu lassen?«
Alle tranken. Sie mußten die klaffende Lücke vertuschen. Ich horchte heimlich die ganze Zeit auf ein weiteres Klingeln an der Tür. Es sah ja keiner, wie sehr, ach, ich muß mir eingestehen, wie flehentlich ich lauschte. Auch Herr Herzer langte beim Alkohol zu, er vielleicht aus anderen Gründen. Möglich, daß Hans dem heiklen Paar entfliehen wollte, bis sich die Sache zwischen ihm und Jeanette beruhigt hatte, egal, was vorgefallen war. Sie malten sich die Szene in Alaska aus und wie Hans sich demnächst durch den Schnee noch einmal dorthin kämpfen würde, um sich den Vornamen der Verwandten zu notieren. Im Hundeschlitten?Von Bären verfolgt? Würde uns die Arktis mit ihrem schneeigen Schlund Herrn Hans für immer wegsaugen?
Sie waren eben weit mehr als beschwipst und brauchten Trost. Wie merkwürdig aber die Frauen Steinert, Zock und Herzer gerade jetzt darüber lachten, daß Hans den Kinderschirm so ungeschickt gehalten hatte. »Dieser Meßdiener!« sagte die Galeristin und meinte zum Schluß, Alaska sei Quatsch. Hans habe irgendwo auf dem Land eine verheimlichte Ehefrau sitzen. Sie wittere so was, womöglich in einem Ort ganz in der Nähe unserer Stadt. Sabine mischte sich nicht ein. Sie drehte den Kopf weg. Dann brachen sie auf in ihr Erwachsenenleben, verabredeten aber trotzig das nächste Treffen für bald.
Nur der bleiche Hehe sagte kein Wort, nichts. Sein Schnauzbart schien ein Stück von ihm abgerückt zu sein. Kann er denn geahnt haben, daß sein bester Freund in sein Verderben fuhr?
Boris Bäder dagegen entließ die Leute wie der Gastgeber eines gelungenen Abends, wie ein leutseliger Statthalter. Im Fernsehen wurden junge Männer in Straßenanzügen von fast nackten Frauen ins Wasser gestoßen und wehrten sich nicht, oder ein Thronfolger torkelte mit nassem Gesicht und feuchtem Anzug in ein Taxi. Etwas in der Art.
Es klingelte. So spät noch? Hehe stand vor der Tür. Ahmte er, nach seinem betrübten Dastehen eben, jetzt spaßeshalber Herrn Hans nach? »Ihr Schirm?« wollte ich schon rufen, aber Ilona neben ihm sah Hehe, bei ihr ganz ungewohnt, hilflos an. »Wie will er das denn beruflich regeln, wenn er hier länger wegbleibt?« fragte der Metzger mühsam und erstaunlicherweise mich. Mich! Die Reise geschehe ja sicher gerade aus beruflichen Gründen, habe ich geantwortet, oder Sabine war es, oder wir beide taten es wie aus einem bangen Munde.
Holterhoff! Diesmal besteht der grasgrüne Mann darauf, mich nach Hause zu begleiten, dabei will ich gar nicht. Ein richtiger Pfadfinder! Wirke ich noch immer so angeschlagen? Ob ihm Sabineeinen Wink gegeben hat? »Das Jahr schreitet voran, Frau Wäns, im Einkaufszentrum haben sie schon wieder die große Häschenschule aus Holz hervorgeholt. Mit richtigen alten Schulbänken ist alles in der Kreuzung der vier Gänge, in einer Art Lichtung also, aufgebaut, die Häschen in Schulkleidung, der Häschenlehrer mit Brille und Stock, dazu aus Düsen, nehme ich an, Blumenduft.«
»Und, Herr Holterhoff, freuen sich die Leute? Bleiben sie stehen und sehen es an?«
»Ansehen schon, stehenbleiben nicht«, sagt er und nimmt mich, um seine gute Tat zu tun, einfach mit sich fort. Er ist ja nach Körperkräften der Stärkere. Wie alt mag er sein?
6. Wanderung
Schon Anfang März. So war auch damals dann März. Aber jetzt herrscht glühender Vorfrühling, damals gab es nichts als Schnee und Graupelschauer. Ich kann die folgenden Abende im Tristanweg nicht recht auseinanderhalten. Am liebsten lag ich in der Badewanne und hätte so gern das italienische Lied vom ersten Abend wieder gehört. Vielleicht ist Sabine gar nicht fromm, vielleicht will sie in der Kirche nur die Gläubigen ansehen und erhofft sich was davon. Daß es auf sie überspringt? Der Pastor spricht zu ihnen, sagt sie, wie zu Patienten mit Knochenbrüchen und Brandwunden.
Meinen Platz im Eckchen hatte ich natürlich beibehalten, schon aus Treue zu Herrn Scheffer, obschon sein Stuhl nun frei geworden war.
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