Gewäsch und Gewimmel - Roman
weiterzugeben. Seine Mutter sei Putzfrau gewesen. Als sehr kleinerJunge mußte er oft wegen der Beaufsichtigung mit und sah dann stundenlang von ihr nichts anderes als ihren geblümten Hintern, wenn sie in die Ecken fremder Wohnungen kroch. Es sei die Haupterinnerung an seine Mutter geblieben. Das könne er der Welt kaum verzeihen. Seitdem liebe er das Karge, eigentlich Spartanische. Zweimal seien ihm die Freundinnen ausgegangen. Da habe er sich in seiner Verzweiflung die Haare zu Locken rollen lassen und sinnenfrohe Farben getragen. Tatsächlich seien sogenannte Bienen darauf gelandet. Inzwischen lebe er gern allein. Was Sabine umgekehrt Finnland verraten hat, weiß ich nicht.
Manchmal spielen sie, wenn sie an die gewisse Stelle bei den Pferden kommen, noch immer das Auffangen und Festhalten nach. Sie tun so, erst recht, weil es ein Unding ist, für einen Augenblick, als wären sie ein Liebespaar. Ich weiß, warum es in Wahrheit nicht klappen konnte. Sie liebten ja beide inbrünstig Herrn Hans und wanderten hier auch bloß, weil sie hofften, genau wie Holterhoff, ihm einmal zu begegnen. Obschon er doch abgereist war!
Sabines Gesicht hat sich nie durch die Gegenwart des Fotografen verändert. Diese Macht besaß er nicht. Ihre trostlosen Gesichtszüge erinnerten von fern an die wochenlange Geistesabwesenheit von Mirko, als sich die Italienerin unerbittlich wegen des Söldners von ihm losgesagt hatte. Nur, daß der Schmerz Mirko noch immer schöner machte. Sabine, die ihn wie gebannt und in hilfloser Wut auf das Mädchen ansah, nicht. Ich selbst war von meinem eigenen Enkel wie verhext. Sein magerer Körper, von Kopf bis Fuß angespannt und in einer ständigen Alarmbereitschaft, wirkte wie ein ununterbrochener Vorwurf an die träge Welt. Man dachte: Gleich wird er ein Messer werfen! Auch ich mußte aufpassen, daß ich ihn nicht zu lange anstarrte.
Am Abend vor dem Tag, als er zu den Bahngleisen ging, hat Sabine die Nerven verloren. Ich war im Zimmer, aber ich hörte imTreppenhaus etwas, was sie, meine ich, niemals hätte sagen dürfen, ein Satzende nur: »… wenn du das Ganze endgültig hinter dir hast.« Es klang sogar noch unabänderlicher.
Unglücksworte! Sabine ist ja in ihrem Leben, ich weiß es, niemals leidenschaftlich liebend gewesen. Ihr Sohn war dabei natürlich die gloriose Ausnahme, doch das ist schließlich was anderes. Sie grübelt bis heute darüber, was Mirko zu seinem fürchterlichen Entschluß bewogen hat. War ihr Gespräch denn nicht freundlich bis hin zum Gute-Nacht-Wunsch gewesen? Wie gut, daß sie trotz allen Nachdenkens nicht darauf gekommen ist.
Ja, anfangs, als alle sich wieder im Tristanweg trafen, wollten sie sich auf keinen Fall eingestehen, daß jemand ausblieb, der wichtiger als jeder andere war: der eigentliche Sinn, der auch die Nervösen unter uns heiter und kindlich machte, das leichte Flackern, das Rötliche bei den Frauen und immer die kleine Sorge, es könnte ein Gewitter aufziehen. Auch fehlte natürlich die Spannung, ob er wohl erscheinen würde. Das war jetzt immer klar. Nein, würde er nicht, keinesfalls! Also lieber erst gar nicht von ihm sprechen, auch um ihn zu tadeln. Für Belebung und Einfälle sorgte mal dieser, mal jener. Es ging gleich los mit Ilonas Idee, gemeinsam eine Zwergziegenfamilie zu kaufen. Eine krebskranke Patientin von Herzer suchte, gegen eine kleine Schutzgebühr, eine neue Heimat für ihren kastrierten Zwergziegenbock, für die Ziege und ihr Jungtier. Sie diskutierten es heftig mit allerlei Plänen.
Ich traute aber dem Braten nicht. Die taten nur so animiert und glaubten von vornherein nicht daran. Hans, ja, der hätte es geschafft, uns zu der Verrücktheit zu überreden. Die Galeristin warf Hehe vor, ihn würde, falls er die Ziegenfamilie adoptiere, schließlich doch die Lust überkommen, sie der Reihe nach, Vater, Mutter, Kind zu schlachten und aufzufressen. Der Metzger war zu dem Zeitpunkt noch viel zu betäubt von der sang- undklanglosen Abreise seines Freundes, um ihr darauf zu antworten, wie sie es verdiente. Bei einem späteren Treffen sagte sie zu ihm: »He, Sie Ökoschlachter, im Osten soll eine Schweinefabrik mit 40 000 Stellplätzen und 40 Leuten entstehen, ein Arbeitsplatz für je tausend Tiere!« »Warum ist Ihre Braut bloß in letzter Zeit so aggressiv?« fragte der getreue Herr Hehe daraufhin ihren Liebhaber Bäder. Der junge Boris lief rot an. Wütend sprang Iris Steinert ihm bei. Er, Hehe, täusche sich gründlich. Bäder
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