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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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vernachlässige sie durchaus nicht, sondern übertrumpfe sie. Er sei jetzt ernsthaft ins Galeriegeschäft eingestiegen und verkaufe den größten Quatsch, ob gemalt oder gebastelt, wie frische Brötchen, nur für viel mehr Geld.
    In Wirklichkeit verdroß sie alle die unglückliche Leere. Wer waren wir schon? Sie fingen auch bald an, ausführlich über ihre Berufe zu sprechen, was früher nie geschehen war und was Herr Hans wohlweislich nicht duldete. Absichtliche Entweihungen?
    Nach Haus! Nach Haus! Wie wird dort heute die Stimmung sein? Die Feierlichkeit im kahlen Wald schlägt mir aufs Gehirn. Das gewaltsame Glühen von Moos und Wiesen ist fast nicht zu ertragen. Dauert auch nicht mehr lange. Dann kommt die bauschige Frühlingsmilde. Die Vogelstimmen zupfen und metzeln an mir, sie krempeln mich in jedem Frühjahr ganz um. Bald werden zwischen dem trockenen Laub gelbe und weiße Sterne, ich glaube, Scharbockskraut und Buschwindröschen wimmeln, überall an den Gräben entlang, um die gestürzten Stämme herum werden sie blinken. Der feuchte Erdgeruch läßt mich gar nicht los.
    Trotzdem: nach Haus! Es wird vom Untergrund her gefährlich kühl. Da, der Tagesmond, schwach hell in der hellen Himmelsumgebung, nur ein bißchen grünlich wohl.
7. Wanderung
    Was soll ich von den Veränderungen denken? Mich beunruhigt, daß er jetzt so oft bei uns auftaucht. Ich erschrecke über mein Erschrecken. Er geht auch anders als früher, beugt sich beim Essen tief über den Teller und sieht selten hoch. Und dabei ist er doch unser Herr Hans!
    Das Wanken von Herrn Hans dauert nun schon Monate, der Verrat der anderen ist inzwischen alt. Aber die Stimmung, die ist neu in der allerletzten Zeit. Trotzdem: Mein Zittern, unvergänglich! Nur mußte ich die Winterjacke wegtun, muß jetzt der blöden Plastikjacke alles erzählen. Sabine hat sie gestern für mich in der Innenstadt gekauft. »Die Passagen«, sagt das liebe Mädchen, »geben in den Flurenden, vorne und hinten, ihren Geist auf. Die Läden machen in diesen Ausläufern, einer nach dem anderen, dicht. Es gibt dort kein Licht mehr, kein Mensch geht in diese toten äußersten Winkel.«
    Mehr sagt sie nicht dazu. Sie beobachtet nur. Ich aber denke mir: Das sind die Spuren des furchtbaren Oberbürgermeisters! Vor der Brust hat er wie ein Schiff eine brüllende Bugwelle. Die besteht bei ihm aus Einkaufszentren, Tiefgaragen und Bürohäusern. Der Mann kommt ja nicht zur Besinnung. Man müßte ihn für eine Weile in einen heilenden Dämmerschlaf versetzen. Hinter ihm kracht alles zusammen und verödet. Er aber dreht sich nicht um, frißt sich weiter vor. Getrieben von Niederlagen und Riesenschulden, die er frech Triumphe nennt, schreit er ununterbrochen, daß wir in die Zukunft sehen müssen. Er meint damit Boom und Bauvorhaben. Kürzlich hat Holterhoff behauptet: »Der Mann verscherbelt das Herzstück.« Ach Gott, der Herr Holterhoff beginnt mich anzustecken. Das gelingt ihm nur wegen unseres armen Herrn Hans.
    Wie diese neue Jacke beim Armeschwenken albern knirscht! Ob sie so eine gute Zuhörerin wie die vom Winter ist? Es heißt, man schwitzt nicht darin. Immer: Zukunft! Zukunft! Mirko hatmanchmal von den »Typen in den Garagen« gesprochen, hat sie sehr bewundert. Er meinte damit die findigen Männer in Amerika, wenig älter als er selbst, die ausgestorbene und noch nicht dagewesene Tiere in Hinterhöfen und Garagen für Science-fiction-Filme zusammenwerkeln. Da würde der Junge heute, ein Jahrzehnt später, erst recht staunen. Ich sehe diese Sachen, wenn ich nicht schlafen kann, von meinem Eckchen aus für ihn auf dem Bildschirm an. Er kann die Entwicklung ja nicht mehr verfolgen.
    Was ist für ein Datum im Moment? Ich wüßte es nicht zu sagen, gut, daß mich keiner fragt und prüft! Hier draußen zählt eigentlich nichts außer Himmel und Erde, so gewaltig ist es. Aber eine riesige Faust hat uns in die zerbrechlichen Verhältnisse gezwungen. In ihnen müssen wir leben, anders geht es nicht. Es ist unsere todernste Welt, obschon irrtümlich. Schon damals hat Mirko gesagt, die Radfahrer in ihren Spezialkostümen sähen aus wie giftige Pfeilfrösche im Urwald. Was für eine verbissene Fremdheit, wenn sich Menschen hier, zwischen den kleinen Moor- und Heidestücken, zwischen den Experimenten von Hans auf einsamen Wegen begegnen, zu Fuß oder radelnd. Fast ist es eine Feindschaft. Nicht immer gelingt es, durch einen Gruß ihre Schale zu knacken, wenigstens für einen Augenblick könnte

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