Gewäsch und Gewimmel - Roman
es doch möglich sein. Wenn ich mir aber die große Gesichtsfläche von Herrn Hans vorstelle, hier, in seinem Reich, habe ich den Schwung, den Übermut, auch den Ehrgeiz, es zu versuchen. Es verlockt mich dann extra dazu, es kommt von selbst.
Damals, als er uns so fehlte, hörte ich die Leute um unseren Eßtisch herum oft nur noch als Geräusch. Ich schaffte es nicht, zu ihrer Herzhaftigkeit durchzustoßen. Nur wegen seiner Abwesenheit gelang es nicht. Was wollen die bloß bei uns? dachte ich. Einmal sah ich währenddessen im Fernsehen eine junge Frau, lieblich mit eisigen Augen, in New York. Sie zeigte in ihrer Küche,wie sie Schälmesser und Gemüsereiben ausprobierte, um damit einen reichen Greis, der sie aus sexuellen Gründen dafür bezahlte, aufs Blut zu quälen. Dann schälte sie wirkliche Kartoffeln und hatte auch eine Schürze umgebunden. »Ich bin nun mal sein Ideal«, sagte sie und fing an, Möhren zu raspeln.
Die Gespräche, die jetzt nicht nur in der Garderobe geführt wurden, drehten sich um Wörter, die bisher im Tristanweg nie gefallen waren. Herzer und Zock sprachen über das »instabile Konsumklima«. Sie machten besorgte Mienen. Sabine flüsterte warnend dazwischen: »Auf Baisse spekulieren? Vor allem Gold! Um Gottes willen! Wenigstens einen Teil in Gold!« Nur der junge Boris lachte unbeschwert, juxte richtig rum. Der machte offenbar weiterhin gute Geschäfte. »Auch der Index für Reise- und Freizeitwerte gibt deutlich nach, die Aktien der Fluggesellschaften verlieren an Wert«, meinte Bruno Zock so kummervoll, daß ich glaube, die Verluste auf diesem Gebiet betrafen ihn selbst. Wie trübsinnig waren wir geworden, wie überflüssig unsere Treffen! Alle merkten es, konnten es aber nicht ändern aus eigener Kraft. Es fehlte das Brenzlige, das Flirren. »Zwölf Prozent unserer Rücklagen sind futsch! Die Reserven für unsere Kinder!« murmelte eines Abends Magdalena, einen Moment lang wie gebrochen, bei einem Blutorangen-Nachtisch in meiner Nähe, ich weiß nicht mehr in welche Richtung.
Ich sagte mir in meinem Eckchen: Wenn er noch lange ausbleibt, fängt es bei mir wieder nachts mit der Todesangst an. Es war ja nicht die Länge seiner Abwesenheit, nein, das nicht. Das Schlimme bestand darin, daß wir nicht wußten, wann er wiederkommen würde, ich meine, ob überhaupt jemals. Und immer gingen die Blicke in den ersten Minuten zum Schlachter, dem allertreuesten Freund, zu Hehe, der doch am ehesten eine Nachricht von Hans erhalten würde und auch ein Recht dazu hatte. Aber der schüttelte nur den Kopf mit dem fidelen Schnauzbart, so, als würde ihn die Anwesenheit seiner blonden Slawin garnicht trösten. Nichts, nicht den bescheidensten Kartengruß konnte er vorweisen. Er sah krank aus und hatte dann ja auch irgendwann den schweren Anfall. Da ließ es sich nicht mehr leugnen, daß was mit ihm war. »Nicht die kleinste Ansichtskarte schickt ihm dieser Unmensch!« sagte Ilona beim Abschied zu mir. Sie mochten sich alle gegenseitig nicht mehr leiden und würden nur noch kurze Zeit zusammenhalten.
Der Tristanweg 8 war überflüssig geworden, wenn dort leere Säcke und Aschehäufchen, die eigentlich gar keine Zeit für den Spaß hatten, beisammensaßen.
Und dann fing die Galeristin eines Abends an, von einem Erlebnis zu erzählen, das mit der öffentlichen Toilette in einem Park begann, wo in ihrem Kabinett alles mit rosa Kirschblüten bedeckt gewesen sei, auch die Klobrille. Sie waren nämlich durch das offene Fenster hereingeweht.
Mir mußte in meinem Abseits natürlich auffallen, wie sehr sie alle sich zunächst tapfer gehütet hatten, Hans zu erwähnen. Wir fürchteten, wenn das erst einmal losginge, dann würde es kein Halten mehr geben. Nun aber rückte Iris mit ihrer heiklen Geschichte heraus, die eigentlich nur aus einer Luftblase bestand. Es ließ sich doch gar nichts beweisen! Dabei beobachtete ich sehr wohl, wie sie ganz verschiedene Gesichter schnitten, mißtrauische und zornige, angewiderte und traurige. Trotzdem lachten zum Schluß alle ohne Grund, wie mir schien, lachten einfach so in die Runde, weil es das beste Versteck für unsere Gefühle war.
Viel verstand ich hinten in meinem Sessel nicht, denn diese Frau Steinert redete in einem Verschwörerton, um alles noch ein bißchen spannender zu machen. Aber selbst dann, wenn meine Ohren überhaupt nichts mitgekriegt hätten, wäre meinen Augen nicht entgangen, daß es Iris mit ihren Anspielungen schaffte, zu denen sie kaum die Lippen
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