Gewäsch und Gewimmel - Roman
Stirn hochstieg, als die Katze nach ihr geschlagen hatte. Ich sah, erkannte es aber nicht gleich, einer weißen, geöffneten Apfelblüte zu, die sich blitzschnell zu einer kindlichen Knospe zurückentwickelte und dabei, so fest geballt, wieder rosig wurde, wie ursprünglich.
Lange Zeit glaubten wir nicht, im Frühling vor einem Jahr, daß Herr Scheffer tatsächlich, wie Bäder im Scherz vermutet hatte, in die arktische Grenzregion gefahren war. Gar nichts wußten wir, nichts. Er ließ uns im Dunkeln tappen, wir litten sehr darunter. Sein Fehlen bekam uns und den von keinem anderen als ihm selbst ins Leben gerufenen Abenden nicht. Kein Zufall, zum Beispiel: Als wir uns am letzten März trafen, erinnerte Ilona, ich glaube Ilona, zwei Stunden nach Magdalenas von Mal zu Mal lustloser serviertem Abendessen daran, daß man sich doch ab Mitternacht »in den April schicken« müsse. Sie dachte laut darüber nach, anstatt es sofort praktisch auszuführen. In Gegenwart von Herrn Hans wäre eine solche Witzlosigkeit undenkbar gewesen.
Es ist ihr dann aber noch die nette Handleserei eingefallen, nett bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Sie ließen natürlich alle gern mit sich machen, daß Ilona ihnen auf der Handfläche herumkitzelte und irgendwas Hübsches prophezeite. Aus der Fernewinkende Liebesbegegnungen vor allem. Da dachte sicher jeder insgeheim an Alaska. Nur hat sie sich beim Fotografen Finnland etwas zu weit vorgewagt, als sie ihm weissagte, ein Insekt, genauer, eine gewisse Biene sei im Anflug auf sein einsames Herz, und dabei zum Überfluß auch noch Sabine anzwinkerte.
Es paßte den beiden überhaupt nicht. Ein schlechter Einfall für so spröde Menschen. Meine gramvolle Tochter und der steife Finnland als Liebespaar! Ringsum wurde je nachdem verlegen oder schadenfroh gekichert. Iris Steinert spielte einen Lachanfall wegen der Peinlichkeit. Die zwei waren für den restlichen Abend verärgert über die »Zumutung«, den »Erpressungsversuch«, wie Sabine es nannte. Sie führten sich auch prompt gegeneinander richtig feindselig auf. Es stand jetzt im Raum, und sie fühlten sich wohl von den anderen zu einem Beweis oder einer Erklärung gedrängt. Eine solche Taktlosigkeit wäre der gutmütigen Ilona angesichts von Hans niemals unterlaufen.
Bei der nächsten Zusammenkunft hatte sie Grippe. Und gerade da passierte der schwere Zusammenbruch oder Anfall ihres herzhaften Freundes und Schlachters Hehe.
Die Frauen, alle ohne Ausnahme, lachten nicht mehr auf die Art, wie sie es unter den Augen von Herrn Hans getan hatten. Das wunderte mich nicht. Sie waren ja auch nicht mehr so rotwangig. Aber bei den Männern verhielt es sich mit dem Lachen genauso! Das erstaunte mich, wenn auch nicht über die Maßen.
»Wir sind jetzt entweder hysterisch aufgekratzt oder vollkommen nüchtern«, sagte Sabine schon bald. »Warum kommen wir überhaupt noch zusammen?« Darauf mußte ich nicht antworten. Sie wußte es selbst. Trotzdem darf man durchaus nicht verdammen, nein, keiner darf es, daß Hans dieses eine Mal an sich selbst dachte und alles andere vernachlässigte. Obschon es ihm, wie man jetzt sieht, so sehr zum Schaden reicht.
Warum er mir wohl zu meiner Krankheit den Riesentopf Narzissen geschenkt hat? Es war das reinste afrikanische Zaubermittelfür mich. Ganz im stillen habe ich vom Bett aus überlegt, und dabei über mich gelacht und mich an dem mitlachenden Gelb geweidet, daß Herr Hans altersmäßig zu dem Mädchen Anada etwa den Abstand hat, wie auf der anderen Seite zu mir. Wenn er sie ansah, mußte er dieselbe Entfernung überbrücken wie bei meinem Anblick, nur in die andere Richtung. Aber, ich möchte darauf wetten, das ist ihm keine Sekunde klargeworden.
Gestern war er wieder bei uns. Er kommt jetzt immer öfter, öfter und öfter, aber anstatt mich darüber zu freuen, beunruhigt es mich. Es wachsen ihm ja auch in letzter Zeit einzelne Augenbrauenhaare bis zu den Lidern runter. Sabine hat ihm die Sache mit den Jägern erzählt. Seine Antwort: »Wissen Sie, Frau Wäns, wie viele von diesen Feldhasen hier bei uns auf einem Quadratkilometer leben? Im Durchschnitt vierzehn, etwas weiter westlich sogar bis zu neunundzwanzig.« Was wollte er damit sagen? Und dann kam noch: »So ist es eben. Viele Jäger sind des Hasen Tod.« Das sagte schon mein Großvater, und so klang es auch aus seinem Mund: nach Großvater.
Die auffällige Stille zwischen ihm und Sabine wurde immer peinlicher. Schließlich habe ich mir ein Herz
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