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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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völlig anders aus.
    Die beiden schlafen noch, dafür stolpere ich durch den Vollfrühling. Ich trage nun doch wieder den Rucksack und habe meine Reichtümer reingepackt, warum, weiß ich nicht, ich will es so. Wehe, jemand vergreift sich noch einmal daran nach derBlamage! Den verfluche ich schon jetzt für alle Fälle. Leider sind mir die Augen verschleiert, ich meine schlierig, ich hätte solider frühstücken müssen. Warte, ein bißchen Traubenzucker wird helfen. Womöglich springt gleich irgendwo Holterhoff aus dem Gebüsch und fragt, ob was passiert sei. Das Glück ist passiert, antworte ich dann. Blödsinniger Kerl. Was mache ich, wenn er wieder aufdreht wie gestern, in seiner verrückten Angelegenheit deutlicher wird und auf ein Doppelglück rauswill? Ich muß ihn, bevor er den Antrag ausspricht, entmutigen. Vorsicht, Frau Wäns, vom Regen sind die Zwischenräume bei den Baumwurzeln ausgespült. Da stürzt es sich leicht.
    Am 10. August letzten Jahres hat Herr Hans Anada vom Flughafen abgeholt und das Mädchen mit einem Rucksack, der ihr weit über die Schultern ragte, gleich zu uns hergebracht. Um 14.35 Uhr standen die beiden im Vorgarten, der war extra zur Ankunft von mir frisch gejätet. Vor lauter Freude kriegte Herr Hans beinahe solche Schlitzaugen wie das Mädchen, das blaß war und zierlich gebaut, bis auf die robusten, doch, bis auf die fast schon derben Hüften. Man scheint dort in Alaska, mußte ich sofort gegen meine Absicht denken, zwei völlig verschiedene Menschenteile aufeinandergeschraubt zu haben.
    Dann lächelte mich ein Gesicht an, ein Antlitz von einer selbst bei kleinen Kindern seltenen Unschuld.
    Anada begann mit dem Lächeln langsam. Feierlich hob sie die Augenlider, und unsere Blicke begegneten sich. Unverkennbar war, daß Hans über uns beide Geschichten in die Welt gesetzt hatte. Nun suchte Anada erstmals, in aller Geruhsamkeit, in meinen Falten danach. Was taten Sabine und Hans währenddessen? Ich weiß es nicht, nur spürte ich seitlich aus seiner Richtung einen gewaltigen, uns alle herzlich umschließenden, männlichen Wärmeschub an diesem kühlen Sommertag.
    Anadas Zutraulichkeit enthielt dagegen nichts eigentlich Persönliches. Ich empfand schon damals, in den ersten Minuten,nein, ich irre mich nicht, an dieser biegsamen Porzellangestalt eine zweite Besonderheit. Das Liebenswürdige bezog sich nicht direkt auf uns. Es war ein Ausbruch von Wohlwollen der Welt gegenüber, das in gleichmäßigen Ringen nach allen Richtungen pulsierte, während sie im Mittelpunkt in sich gekehrt blieb, soll ich sagen: schlief, träumte? Das erklärt vielleicht die, für eine doch immerhin über zwanzigjährige Frau seltene, sofort wahrnehmbare Unschuldswolke, die sie umgab. Sie war von einer auf- und abschwellenden Schönheit, die sich öffnete und verschloß. Ich beobachtete das erst später, sie bewegte sich ja meist in unserer Nähe. In meiner Sorge um Hans machte mich aber etwas bereits zu Anfang stutzig.
    Sie bestand darauf, den monströsen Rucksack (kein Vergleich mit meinem), selber hoch in das ihr zugedachte Zimmer, das von Mirko, zu schleppen. »Da seht ihr, so ist sie!« rief Hans fröhlich, wenn auch ein bißchen irritiert von Anadas Entschiedenheit gleich während der ersten Momente in einer fremden Familie. Er hätte es doch zu gern für dieses Mädchen mit den rührend schmächtigen Schultern, überhaupt mit dem Oberkörper einer Elfjährigen, oder gleich einer Elfe, getan. Sie gestattete es nicht, und ihm baumelten für drei, vier Sekunden die kräftigen Hände ratlos, bis er sie schnell in die Taschen seines Leinenjacketts steckte, was ich immer so gern an ihm sah, diese festungsartige Haltung der Unabhängigkeit. Sabine stieg die Treppen voraus.
    Wir beide hörten unten im Flur das leise Keuchen Anadas. Aus vollem Herzen sagte ich, um ebenfalls ein Geräusch zu erzeugen: »Herr Scheffer, ich weiß, wir werden gut auskommen mit dem lieben Kind. Es kann bleiben, solange Sie wollen. Für Sabine ist es außerdem ein Geschenk, so, als würde sie eine hübsche Freundin ihres verstorbenen Sohnes beherbergen.« Kaum war es mir über die Lippen gegangen, da erschrak ich natürlich und hätte den Satz gern zurückgeholt.
    Hans aber achtete gar nicht darauf in seinem Glück, das Mädchen endlich bei uns eingefangen zu wissen, jederzeit anwesend und so dicht an seinem Herrschaftsbereich, den wiederhergestellten Wildnissen und kleinen Hochmooren, die sie alle mit ihm besichtigen würde. Falsch,

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