Gewäsch und Gewimmel - Roman
auskunftsbereit, wenn sie gefragt wurde, ließ unter gesenkten Lidern ihre Blicke schweifen, nicht mißbilligend, das nicht, allerdings erstaunt, ein bißchen ungläubig sogar. Sie hatte sich, nach den Erzählungen von Hans, unsere Gruppe viel jünger vorgestellt, das las man aus ihren verwunderten Zügen ohne Mühe. Auch der blutjunge Boris und die mädchenhafte, wenn auch schwangere Ilona fielen nicht recht ins Gewicht. Für Anada verschmolzen die beiden mit uns anderen und änderten kaum etwas zu unseren Gunsten. Sie warf den fremden Frauen und Männern, von mir war ja ohnehin gottlob nicht die Rede, ihr Alter nicht vor, aber ihre sanfte Höflichkeit ließ keinen Zweifel daran, daß sie fern, am anderen Ufer stand.
»Love«, sagte Iris zu ihr, auch »Darling«, riskierte aber beides nur jeweils ein einziges Mal. Anada hielt offenbar nicht für möglich, daß sie damit gemeint sein könnte.
Ich selbst begann ja schon, die Freunde Herrn Scheffers, uns alle, mit Anadas Augen zu sehen: das angedeutete Bückelchen von Jeanette, das zerquälte Gesicht von Finnland, sobald er dazuansetzte, einen Gedanken zu fassen, und die hier und da bereits schwankenden Gesichtskonturen. Frisch betaut, Gott weiß, aus welchem Himmel, stand dagegen das von der Reise kaum erschöpfte Mädchen in unserem betagten Wohnzimmerlicht. »Eis hält eben frisch«, murmelte die reizende Iris, die sich am stärksten provoziert fühlte, denn ich hörte, wie sie zu Bäder hin fortfuhr: »Mann, ist das eine harte Nuß.« Der bemühte sich wie alle anwesenden Männer um Anadas Aufmerksamkeit, wenn auch anders als die übrigen, die es mit Esprit versuchten. Sagte nicht Herzer irgendwann zu ihr, die Nervosität von »uns Großstadtmenschen« sei zu vergleichen mit der Schalenverdünnung bei Vogeleiern durch die Anwendung von DDT? Worauf Hans bemerkte: »Auf gestörten Böden wächst oft die interessanteste Wiesenflora.«
Der neuerdings geschäftstüchtige und stark dem gerissenen Gelderwerb zugeneigte Galan der Galeristin legte eine schreckliche Lässigkeit an den Tag. Nur gestattete das in sich gekehrte, zuvorkommende Mädchen eben nicht die geringste Kumpanei, vielleicht sogar ohne das selbst zu wissen. Die Frauen hatten sich dafür gewappnet, einer herausfordernd fremdartigen Schönheit zu begegnen und sie an den ihr gebührenden Platz zu verweisen. Anada jedoch, unbekümmert in ihren Reisejeans, bemerkte nicht einmal, daß sie die Hauptperson war.
Schon bald nahmen Sabine und ich etwas verwirrt zur Kenntnis, daß sich in ihrem gewaltigen Rucksack kaum andere Kleidungsstücke befanden als die, die sie an diesem Abend am Leibe trug. Statt dessen hatte sie lauter Bücher darin, Völkerkundliches, Werke zur Geschichte Osteuropas und Asiens, Märchen, Landkarten. Entdeckte sie irgendwo ein antiquarisches Buch, griff sie unverzüglich, fast unbeherrscht zu. Einmal, nach einigen Wochen, sah sie Hans, wie es ihre Art war, mit ganz allmählich aufstrahlenden, immer leuchtenderen Augen an, ich weiß nicht mehr, weshalb, aber ich dachte:als sähe sie eine alte Schrift, die sie begeistert, nicht einen Mann und Menschen.
Hans, der die Verwirrung ihres ersten Abends im Tristanweg angerichtet hatte, lacht sich heimlich halbwegs ins Fäustchen, zur anderen Hälfte sprühte er vor Stolz.
Ilona, eventuell unsere liebliche Ilona, doch, sie am ehesten noch, glich der kleinen Indianerin in der leicht melancholischen Verträumtheit und mit den breiten Wangenknochen unter der gepolsterten Haut. Aber war nicht trotzdem auch sie, weniger durch die Schwangerschaft als durch die Krankheit des Metzgers, fortgetrieben aus dem Schutzgebiet, ich darf es doch für mich allein denken, niemand hört mir zu, bis auf meinen Strohhut natürlich, aus dem Reservat der schönen Jugend, die der Tod noch nicht angerührt hat, nicht geritzt die Politur und nicht angehaucht, selbst wenn er ihren Weg kreuzt, weil er ihr nicht einmal einen schattenhaften Schaden zufügen darf? Hans hatte recht, ich sah es auf einen Blick: Der Palisadenwall zwischen Anada und der Sterblichkeit war noch undurchlässig, ihr Wesen noch nicht angefaßt vom Tod, nicht angeweht. Das hatte auch der tote Urgroßvater nicht zu ändern vermocht. Schon deshalb konnte man nicht anders, als sie widerstandslos ins Herz zu schließen.
Sie aß in einer uns ungewohnten Langsamkeit von Magdalenas gefüllten Fleischröllchen, leckte einen schlanken Finger ab, hörte allen, die etwas sagten, mit gleichmäßiger Aufmerksamkeit
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