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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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rüttelt gewissenlos ihr Kleines durcheinander? Das darf man nicht mit diesen zarten Zäpfchen. Nora! Merkwürdig, daß sie nicht schreit. Grußlos schießt, verstummt, die unheimliche Mutter an mir vorbei. Kaum ist sie ein Stück weitergehetzt, dreht sie sich nach mir um. Und, erst jetzt frage ich mich, ob der Säugling überhaupt noch im Wagen liegt. Wo dann?
    Aus einiger Entfernung sieht das Schilfrohr aus wie ein dampfendes Geisterheer, ein Gespensterchor. Kaum steht man etwas anders, erkennt man, daß es die braunen Reste vom Vorjahr sind. Es lag nur am Licht, als sie so weiß und seidig wirkten.
    An die beiden, die glücklich vereint in ihrem Nest im Tristanweg schlummern, an die denke ich lieber nicht. Doch, ich muß unbedingt, koste es, was es wolle, liebend an sie denken. Nur ist das verdammt schwer. Marschieren, einfach draufloswandern ist leichter. Es gibt auch hier Wege und Seitenwege trotz der Verbote von Hans in rauhen Mengen. Über seine Hindernisse aus Zweigen klettern sowieso immer mehr Leute am hellichten Tage. Nein, wenn möglich nicht an sie denken, sich nichts vorstellen.
    »Schwiegersohn«! Warum nicht Finderlohn? Siegerhohn?
    »Schwiegermutter«! Dann schon lieber Wiegemesser, Ziegenfutter!
    Da, verrückter Tag. Ein Körper, kein Kindchen und kein Paar, rollt sich auf dem Weg. Tot ist er nicht, gottlob lebendig, der Kerl, kriecht schluchzend im Dreck am Frühlingsmorgen im Schutzgebiet, tief unten. Hoch oben das Gezwitscher hört er nicht, oder rührt daher der Jammer? Daß er nämlich nicht fröhlich sein kann mit den Fröhlichen? Was hier für Sachen geschehen! Es rechnet eben keiner mit Zeugen in dieser Einsamkeit zu dieser Stunde. Helfen lassen will sich der Betrunkene nicht. Da kann ich mich noch so hinhocken und ihm zureden. »Ich will mich hier rollen, lassen Sie nur! Will mich hier rollen, rollen.« EinStückchen Brot hätte ich für ihn, er will es nicht. »Ich rapple mich schon auf. Gehen Sie nur, Sie guter Geist, hau ab, guter Geist!« lallt er noch, dann fängt er wieder mit dem Klagen an.
    Ob ihm denn noch Schlimmeres widerfahren ist als mir? Es fehlte nicht viel, dann würde ich mit ihm da unten rollen und seufzen. Womöglich ist das ein Heilmittel, ein altes Hausmittel und Familienrezept. Rollkur im Matsch. Äußerlich verletzt ist er jedenfalls nicht, also weiter mit mir! Der pfeifende Radfahrer dahinten wird sich um ihn kümmern. Das ist ein starker Mann.
    Und was bin ich? Heute ein bitteres, das allerbitterste Mütterchen, ganz aus Bitterkeit gemacht bin ich, jemand, der am liebsten aus sich herausspringen möchte, der sich, wenn das nur möglich wäre, von sich selbst abkapseln würde. Wenn mich doch jetzt die wunderliche treue Elsa ein bißchen tröstete, nur stumm neben mir herstapfend in ihrer Geduld! Die Pferde allerdings, die Pferde, hingestellt zu meinem Trost, damit ich nicht ganz im Stich gelassen bin! Niemals gelangt man dorthin, in den Lichtfleck, wo sie entrückt von allem auf der Weide stehen, ohne das geringste Zucken, nur atmend, sonst nichts. Man erreicht den Ort ja nie, keiner schafft das jemals. Aber vertiefen kann man sich in das Bild, damit es sich einbrennt wie das Stückchen von einem Lied. Es kommt mir gerade so vor, als sähe ich mir dabei zu, in diesem Moment als uralte Frau aus der Zukunft, wie ich mich erinnere an den ersten Abend mit der schönen Musik, die Hans mir mitgebracht hatte, letzten Endes nur für mich. Das stellte sich doch zum Schluß, beim Abschied, heraus.
    Wenn ich heute Holterhoff treffe, das ist unumgänglich, will ich mit ihm folgendermaßen flirten: »Guter Herr Holterhoff, ganz im Vertrauen gefragt: Was erschreckt Sie eigentlich mehr? Daß Sie in absehbarer Zeit Kiefer, Simse, Binse und Segge nicht mehr sehen werden, weil der Tod ihnen das alles auslöscht, oder fürchten Sie, lieber Nachbar, daß die kleinen Moore, ihre Kiebitze, die Teiche, Sie ganz im Gegenteil vorerst fröhlich überdauern,während Sie allein davon ausgeschlossen sind?« Danach ist es todsicher vorbei mit der lästigen Brautschau.
    Da, ein Entgegenkommender auf schmalem Weg. Eine Art Vierzigjähriger um diese Zeit? Wie verkniffen die Lippen, so eisern entschlossen, mich auf keinen Fall zu grüßen! Fällt diesen gestrengen Leuten gar nicht auf, daß die Schilder am Pfosten durchgefault sind, wie ungültig gemacht, und die großen Informationstafeln grün bemoost, unleserlich, gar nicht mehr zutreffend?
    Ohne Zigaretten ist das Leben doch eigentlich sinnlos.

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