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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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ungläubig.
    »Alaskamädchen, wir hatten hier schließlich auch Eiszeiten. Nach der letzten wehte der Wind Sand aus dem Elbeurstromtal ans Stromufer, den Geesthang hinauf und weiter landeinwärts. Daher die Dünen. In den Senken, die keinen Abfluß hatten, entwickelten sich Hochmoore.«
    Anada wollte etwas sagen, aber Hans konnte nicht aufhören mit dem Dozieren: »Im Mittelalter wurden große Teile des Waldes gerodet, man brauchte Holz und gewann Heide und Weideland für die Heidschnucken. Heide und Moor waren zehnmal größer als heute, stellt euch das vor, bis Forst- und Landwirtschaft, die sich bis heute vom Naturschutz belästigt fühlen, dadrüben, rechts, links, dahinten, im 19. Jahrhundert durch Torfabbau, Aufforstung, Entwässerung die Landschaft in Grund und Boden veränderten. Die natürlichen, nährstoffarmen Böden verschwanden und damit die spezifische Vegetation. Moderner Wirtschaftswald, Hiebreife nach 80 Jahren.«
    Wie schlimm wäre es wohl Herzer, Finnland, Bäder, Zock bei Hans ergangen, wenn sie auch nur versucht hätten, sich in solche Erläuterungswut zu steigern, erst recht Zocks Frau mit ihren Rezepten!
    Anada hatte angefangen, vor ihrem Lehrer strammzustehen und zu nicken, auf und ab, auf und ab. Verspottete sie ihn etwa? Sie konnte unmöglich alles verstehen, trotz der blendenden Auffassungsgabe beim Erlernen der Sprache. Hans vergaß das vollständig. Ich, das sich blöde stellende Mütterchen, wußte nicht, wie ich ihm ein Zeichen machen sollte.
    »Schon gibt es hier wieder die Torfmosaikjungfer und die Hufeisenazurjungfer.«
    Sie versuchte, die Namen nachzusprechen. Das klang reizend. Hans lächelte zerstreut, auch entzückt, fuhr aber doch fort: »Und die Vierflecklibelle und den Moorbläuling. Auf den überstauten Flächen konnten sich Schilfröhrichte weiter ausbreiten. Ich habe das austreibende Schilf im Juni per Hand unter der Wasseroberfläche mähen lassen.«
    Aber nicht beaufsichtigt, Herr Scheffer. Hans, hast du es wirklich streng kontrolliert? Du warst ja gar nicht da!
    Zwischendurch rief er glücklich in die Sommerluft: »Du weißt nicht, was ein Hochmoor ist? Herrgott, was lernt ihr Weibsbilder bloß auf euren Schulen dort links oben in Alaska!«
    Anada wollte antworten, aber er setzte, ohne Luft zu holen, den Vortrag fort, und sie unterbrach ihn ja niemals: »Die Halme vergehen dann durch das eintretende Wasser. Natürlich gelingt nicht alles auf Anhieb. Hört euch das an, holde Damen: Gliederbinse, Zwiebelbinse, Flatterbinse, Fadenbinse, Sparrige Binse,Zarte Binse. Ist hier alles gesichtet worden. Wir haben die Flurstücke in Dauerquadrate zur Beobachtung eingeteilt. Könnt ihr so nicht erkennen, aber seht mal her, ich zeige es euch!«
    In diesem Augenblick passierte es wohl, daß der Kopf Anadas, als wir uns über das vorgeführte Stück Erde beugten, sehr dicht an den von Hans geriet. Er legte einen Plan auf den Boden, in dem die Lage der Quadrate eingezeichnet war, mit Symbolen, wie von einem Kind ausgedacht: Einzelbäume, Gebüsch, Wald, Heide, Düne, Weiher, Graben offen, Graben verrohrt. Der arme Mann breitete werbend seine Juwelen zu ihren Füßen aus. Hans muß ihren Atem gespürt haben und dann den Geruch ihrer Achselhöhlen, der rücksichtslos auf ihn eindrang. Er war stärker als seiner. Endlich sagte Hans nichts mehr. Er blieb betäubt einfach so in der Hocke und Anada auch, nicht anders, als ich hier, eben, in meiner Erstarrung oder Versunkenheit. Damals bin ich dann einfach weitergewandert, ohne mich umzudrehen, und wartete lange, lange an der nächsten Bank.
    Es ist aber nicht nur Diskretion gewesen, nein, nicht in erster Linie ein verständiges Abwenden von den beiden. Ich hätte es mir gern eingebildet, aber etwas anderes hat mich weggescheucht, von dem bleichen Mädchen mit seinem wilden, räucherigen Nelkenduft und meinem schönen Herrn Hans. Ich kannte ihn ja nun eine Weile und fürchtete, wenn ich geblieben wäre, ach leider, ein schnödes Wegschicken, und sei es durch einen einzigen verärgerten Blick.
    So spät schon? Wie lange habe ich denn vorhin bloß stillgestanden? Dabei will alles immer in Bewegung sein. Die eine Hälfte der Menschen reist wie wahnsinnig von Land zu Land zum Vergnügen, die andere ist auf der Flucht aus Not. Und ich, ich gehe hier herum, jeden Tag in derben Wanderschuhen, und halte es anders nicht aus. Dann jetzt neu zwischendurch das Erstarren! Bald kommt womöglich schon die abendliche Frühlingskälte aus der Erde

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