Gewäsch und Gewimmel - Roman
erschien er dann auch, stand einfach mit grauem Gesicht und schiefem Lächeln in der Tür.
Nur, so unglaublich es war, man merkte es kaum!
Die Frauen fingen nicht an zu glänzen, schneller und höher zu sprechen, rotwangig zu werden, und sei es, nachdem sie kurz im Badezimmer verschwunden waren. Hans mischte sich in seinem zerknitterten Anzug unter uns, ein müder Mann, der keine Erklärungen abgab, wie gewohnt. Aber sie schienen auch niemandem zu fehlen. Die Zerstreuung war schon zu weit fortgeschritten. Der ausgeplünderte König setzte sich auf den nächstbesten Stuhl, rührte sich nicht von der Stelle und starrte uns erschöpft, vor allem aber ungläubig an, und wir, wir starrten ebenso zurück, vielleicht sogar noch ungläubiger in uns selbst hinein. Wir, bis auf mich, bis auf Sabine.
Auch Herzer kam. Man redete über die neuen politischen Verhältnisse in der Stadt. Plötzlich legte der Frauenarzt mit dem Renommieren los und traf bei Hans auf keinerlei Gegenwehr: Ob wir uns an den Gebirgsort erinnerten, der die Zahl seiner Gäste dadurch zu erhöhen hoffte, daß er sie ununterbrochen zum Lachen brächte? Ja? Dort habe sich nun durch die Zähigkeit eines einzelnen Mannes, der seine, Herzers ganze Bewunderung gewonnen und tapfere Mitstreiter gefunden habe, im Kampf gegen kommunale Intrigenwirtschaft ein beträchtliches Wunder ereignet. Um den gefürchteten Trend zum schleichenden Hotelsterben zu stoppen, habe man dort ein verrücktes Bauprojekt beschlossen. O doch! Auf einer Fläche von 60 000 Quadratmetern, bei der auch ein naturgeschütztes Flachmoor einplaniert werden sollte, in einem Bergwiesengebiet, habe man, ein Fall erstaunlicher Schlußfolgerungen, mit Hilfe deutscher Investoren zwei Hoteltürme mit angegliedertem Hoteldorf errichten wollen. Jawoll! Dafür sei im Bebauungsplan ein schäbiger Trick angewandt worden. Um die Umgebung zu schonen, habe der Gemeinderat im Leitbild für die Planungen eine Intensivierung des Bauens im Ortskern erlaubt und die Kantonsregierung habe dem zugestimmt. Dabei sei aber vorher ein heimliches Abkommengetroffen worden, wär doch gelacht, eine bestimmte Fläche, ein sogenanntes Planungsfenster, offenzulassen, das heiße, aber ja, es zur Freude nicht nur der Bauindustrie, aus der Schonzone herauszunehmen: eben jenes Schutzgebiet! Nach einer langen Auseinandersetzung, warum nicht, bei der man die finanzielle Geduld und Potenz der am Bau Interessierten und ihrer rührigen Lobby nicht unterschätzen dürfe, sei endlich die Entscheidung durch Abstimmung der Gemeinde gefallen. Für das Projekt! Man kenne ja die üblichen, schmierigen Argumentationen, besonders die trügerischen bezüglich entstehender Arbeitsplätze, genau wie in unserer Stadt ja auch. »Und doch!« rief Herzer und warf Hans einen merkwürdigen Blick zu. Mußte es denn wirklich Schadenfreude sein? Warum sollte es sich nicht um eine schamhafte Art der Beschwörung handeln, die der letztlich gute Mensch Herzer bezweckte? »Und doch! Hören Sie nur, Herr Scheffer! Hören Sie, bitte sehr!«
Hans, unser alter Held vom Hochmoor, hob die Augenbrauen, ohne Neugier.
»Dieser Mann, der dem dortigen Gesetz zufolge nach der Abstimmung nicht mehr Einspruch erheben konnte, hat in mühseligen Einzelschritten und durch ein Netzwerk von Freunden erreicht, daß die Sache vors Bundesgericht in Bern gekommen ist. Eine nervenaufreibende, kostspielige Prozedur. Die dort getroffene Entscheidung aber gilt ein für alle Mal. Sie lautet: Ablehnung des Projekts! Als unzulässig und unsinnig von höchster Stelle abgeschmettert.«
Noch nie hatte Detlef Herzer in Gegenwart von Herrn Hans sich derart aufplustern und so lange amtlich reden dürfen. Das war es, was ich dachte, und es erschreckte mich, daß es sich so verhielt. Hans lächelte ein bißchen, nickte ein bißchen, nickte, fast als würde er insgeheim gramvoll kichern, vor sich hin: Er verstand die Attacke des Frauenarztes sofort. In dem seltsamen Gebirgsort da oben oder da unten gab es einen couragierten Kämpfer,während er, Hans Scheffer, den Dingen ihren Lauf ließ und den geänderten Bedingungen, die ihm offenbar bisher verbindlich zugesagte Geldmittel verweigerten, keinerlei Protest, keine Beschwerde, offenbar überhaupt nichts entgegensetzte. Was wir aber wohl alle am schmerzlichsten empfanden, vielleicht sogar der stichelnde Herzer selbst, war die Reaktion von Hans.
Sie fiel nämlich aus. Er antwortete gar nicht.
Etwas später sagte er: »Dann sind die Schakale wohl
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