Gewäsch und Gewimmel - Roman
aufgescheucht wirbelten, sondern uns längst in einem fortreißenden Strom befanden.
Hier draußen, im Spätfrühling, hat jemand den umgefallenen oder gar umgetretenen Pfahl für das dreieckige, grüngeränderte Schild des Naturschutzgebiets mit dem schwarzen Greifvogelflugbild auf weißem Grund und der grünen Gebotstafel darunter mitleidig gegen einen Baum gelehnt. Damals, im Oktober, hoffte ich auf meinen Gängen immerzu, unseren Herrn Scheffer, seine liebe, mächtige Gestalt, unseren Hans vom Hochmoor, der doch unsere Sonne und unser König gewesen war, bei der Inspektion seines Reiches zu treffen. Ich sah aber leider nur die überallhochschießenden Birken. Der Anblick der grazilen Wichte bekümmerte mich, sie waren hier ein so schlechtes Zeichen. Wie gut mir jedoch andererseits die Landschaft in ihrer zunehmenden Verwahrlosung, in ihrem Aufstand gegen Herrn Hans, tief im Grund meines Herzens gefiel! Diese Treulosigkeit gegenüber Hans verschleierte ich sogar hastig vor mir selbst, sobald sich die Empfindung auch nur ein bißchen hervortraute.
Es waren von morgens bis abends schwerfällig rollende Herbstmittage. Einmal stieß sich hoch über mir ein Schwarzspecht von der Baumspitze ab, von einer Fichte, ein schöner Schwarzspecht mit seinem modernen Motorradsturzhelm, auch starrte mich ein weißes Pferd, ein stämmiger Küchentisch, mit runden Kohleaugen an. Zwischen den Ohren standen ihm die Haare steif zu Berge. Es sah mich an, ohne jede Regung, aber unwiderstehlich durch sein Dasein. Das Licht ruhte über Stunden still und wurde nur allmählich rauher. Die Bäume zitterten, als wollten sie sich zerstäuben oder die zerglühten Krusten ihrer Oberflächen aufbrechen wie Brote, wenn sie gar sind. Am Himmel formierten sich die Zugvögel mit lautem Wimmern zu ersten Probeflügen. Ich wußte, weiter flußabwärts versammelten sie sich in den Marschen, hinter dem Deich, und doch packte mich ab und zu eine Eifersucht auf das, was hier draußen nachts in meiner Abwesenheit geschehen mochte, wenn alles unter sich war und sich wechselseitig, ohne eine menschliche Seele zu dulden, beäugte.
Wie doch jedes Mal die alten speziellen Stimmungen für die Jahreszeit letzten Endes zustandegebracht werden!
Eins aber steht fest. Diese reizende Frau und entzückende Mutter Magdalena, bei der selbst ein bißchen Spott, mühevoll und eigens und lediglich Hans zum Gefallen hervorgepreßt, das Glucksen der Glucke nie übertönte, wollte in Wahrheit den schönen, mächtigen Mann als ihr fünftes Kind vereinnahmen und regieren.
Zischte mich damals nicht eine Kreuzotter in einem Sonnenfleck an, zischte in ihrem Zorn und ahnte nicht, daß ihr Dasein in dieser Gegend einen Triumph für Hans darstellte? Hier traf mich, von der Verengung des kleinen Lichtungskreises gebündelt, noch einmal eine Masse von Glutpfeilen, die senkrecht auf die nackte Haut herabschossen. Außerhalb solch später Sommerblitze aber spürte man, abgetrennt mit scharfer Klinge, schon den starken Atem einer bitter riechenden Kühle. Es tat mir in der Seele gut, von schattigen Wegen auf hell angestrahlte Wiesen zu sehen, auf dem die sturen Kühe wiederkäuten, als wäre um sie das Gelobte Land, als wäre für sie die Ewigkeit bereits eingetreten. Eine Farbumwälzung ins robuste Braun hier und da. Das Grün wurde schwärzer, das Rot immer feuriger, in beidem steckten die kommenden Fröste. Es gab Bäume aus Messing, Kupfer, Gold, manchmal als Gespinst, manchmal ziseliert mit großem Druck gegen das harte Himmelsblau. Zerfetzte Brombeerblüten neben Früchten, die nicht mehr dunkeln würden, aus den Dickichten die Ausdünstung von Pilzen und Moder, ach, das verlockende Wurzelreich! Ich schwenkte ab in den Forst und zurück ins Naturschutzgebiet, wo die künstlichen Teiche Kondensstreifen spiegelten und der Uferbereich mit niedrigem und bereits höherem Gestrüpp anrückte und das Verlanden vorantrieb. Ja, so wird es in jenem Oktober nach Anadas Abreise gewesen sein, in dem ich niemals unseren Herrn Hans in seiner Landschaft antraf, statt dessen zunehmend niedergetrampelte Strauchbarrieren, die ursprünglich ehemalige Wege für die Wanderer sperren sollten.
Im Tristanweg ereigneten sich weiterhin dürftige Zufallstreffen, nie vollzählige Versammlungen, aber alle, bis auf den für uns unsichtbar vergehenden Hehe, tauchten gelegentlich einmal auf, wie um zu schnüffeln, ob sich die Atmosphäre in der Zwischenzeit mit Herrn Scheffer gesättigt hätte. Und schließlich
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