Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
weitergezogen.« Und noch später fragte er ins Blaue hinein. »Wird unsere kleine Ilona es denn schaffen?«
    Ein paar Tage danach war Hehe tot. Es hieß, er sei nach sehr schwerem Leiden sanft eingeschlafen. Ich weiß nicht, wann Hans seinen besten Freund zum letzten Mal gesehen hat. Bei der Beerdigung in ungewöhnlich dichtem Novembernebel sind sie ja alle zum Abschluß zusammengekommen. Hans trug trotz der falschen Witterung sein helles Sommerjackett, das er für Anada angeschafft hatte und, wie eine Witwe, eine Sonnenbrille. Viele Unbekannte, aber auch die aus unserem Kreis, auch die Männer, weinten, und niemand hat anschließend beim Frühstück im Restaurant meines Wissens Witze erzählt, was ja sonst als guter Brauch gilt wegen des Überlebens der Zurückgebliebenen. Ilona stand kurz vor der Niederkunft, zog sich daher bald zurück. Wir fürchteten die ganze Zeit über, die bleiche Gestalt würde umfallen. Der Bruder mit dem Kiosk aber paßte gut auf sie auf, er wich nicht von ihrer Seite und schirmte sie ab, fast auch gegen uns. Wir hörten dann noch, daß sie etwa zwei Wochen später eine gesunde Tochter zu Welt gebracht hat. Wer ihr eine Gratulation schickte, erhielt schriftlichen Dank.
    »Freundlich«, meinte Sabine, »aber formuliert hat es ein anderer.«
    »Keine Angst«, sagte die immer schlaumeierische Galeristin, »Herr Dr. Herzer wird sie garantiert und begründet unter seine Fittiche nehmen.«
    Es gab an diesem sterbensgrauen Tag auch einen Satz von Hans, an den ich mich im Wortlaut erinnere. Er meinte auf dem Rückweg vom Grab, als er trotz seines Schmerzes so treulich neben mir ging und mir seinen lieben Arm bot, so daß es für mich selbst, ich darf es mir ja eingestehen, und für mich allein, doch noch ein schöner Tag wurde: »So ein Tod, Frau Wäns, hat etwas Mitreißendes.« Mir fiel in meiner Aufregung keine Antwort ein, wir wanderten stumm zwischen den anderen auf den Kirchhofwegen, und nach einer Weile flüsterte er, bestimmt, weil er sonst geschluchzt hätte: »Bitte, Frau Wäns, entschuldigen Sie.«
    Etwas in seinem Gesicht, ich glaube, um seinen Mund herum, eine unregelmäßige Winzigkeit, wirkte auf mich wie der schnelle, abgrundtiefe Seufzer von Geigen, die Sarasates Zigeunermusik spielen, gegen die es ja auch keinerlei Schutzwall oder Verhärtung gibt.
    Im Forstgebiet brach damals die Hölle los. Ich war am nächsten Tag dort wieder unterwegs. Schon von weitem hörte man die Motorsägen. Die weiche Erde mit dem matschigen Laub auf den Wegen war tief gefurcht von den schweren Fahrzeugen der Waldwirtschaft. An den Seiten stapelten sich die gefällten Bäume. Jetzt spürte man, daß man nicht durch den schönen grünen Schein, sondern durch eine Baustelle, durch ein Industriegebiet wanderte. Die Spechte hatten das Nachsehen.
    Im Sommer war alles vom Geißblattduft angefüllt und durchschwärmt gewesen. Überall leuchteten Holunderblüten aus dem Dunkel mit sanften Scheinwerfern in die Gegenwart. Wohlriechende Geisterfingerchen kletterten die Bäume hoch, unten faßten Tausende winziger Tierchen ihre Entschlüsse. Jetzt aber hieß es vorsichtig sein. Rot-weiße Bänder grenzten die Bezirke ein. Sie warnten vor der Lebensgefahr wegen Holzfällung. Ganze Wäldchen splitterten, krachten und sanken um bis auf kleine Lebenszellen, Inselchen aus niedrigem Gebüsch. Welche Tiere sich darin wohl in großer Angst versteckt hielten, bei diesem gewaltigenAufräumen und Jüngsten Gericht? Die Maschinen dröhnten im Heidenspaß. Es wurde Ernst gemacht, man hatte hier nichts verloren, die Tiere nicht, ich nicht. Es handelt sich aber doch um einen Staatsforst, bei dem es mit rechten Dingen und beispielhaft zugehen sollte! Ich, Luise Wäns, das schwache Mütterchen, fragte die gepanzerten Männer lieber nicht, sie waren die Stärkeren und völlig eins, schwelgten in Harmonie mit dem Tosen ihrer Apparate. Schließlich mußte ich umkehren. Am Rand eines Reitweges balancierte ich, einen Tag nach Hehes Beerdigung, vorsichtig ins Schutzgebiet, zurück ins alte Reich von Hans und nach Haus.
    Damals hätte ich gern zumindest Herrn Holterhoff getroffen zu meinem Trost. Wer wartete dagegen wie gerufen an der Haustür, um mich zu überraschen? Die gute Elsa, die zufällig in der Nähe zu tun gehabt hatte. Ich will ihr das nicht vergessen! Da sind wir beide gleich noch einmal losgetrabt, denn im Haus hielt es uns nicht. An Hehes Grab hatte ich nicht geweint, aber als wir beide, Elsa und ich, so nebeneinander

Weitere Kostenlose Bücher