Gewäsch und Gewimmel - Roman
eigener Schrei.
Erster Ausflug
Herr Brück hat Frau Dillburg zu einer Fahrt ins Grüne eingeladen und ihr gestanden, daß er seit dem Tod des Hundes Rex Brück oft von einer Gegend träumt, in der die Tiere keine Angst vor den Menschen haben und daß er alle zwei Tage ins Fitneß-Studio geht und ein kleines Hörgerät trägt. Sie aber trägt ihr neues Kleid.
Die Landschaft neben der Autobahn empfindet Herr Brück heute als geradezu verblödet. Sie ist einfach nicht gut genug für die Frau neben ihm. Aber nach dem Abbiegen tauchen schrill blühende Rapsfelder auf und noch schöner die Löwenzahnwiesen, so weit das Auge reicht. Sie fahren zwischen einem gelben und goldenen Schlingern. Die Löwenzahnwiesen, sagt er, seien für ihn, nach einer langen Zeit der Verbitterung, der Wendepunkt gewesen.
An einer ländlichen Kreuzung stehen zwischen Apfelbäumen Reklametafeln für Aldi, McDonald’s, für eine Schlepperfahrt der Schlepperfreunde und für einen Diavortrag von Dr. Michael Lallesmann über »Picasso – Leben und Werk« im Magdalenenhof.
An dieser Stelle nähert Herr Brück seinen Mund dem von Frau Dillburg. Unmittelbar bevor er in aufrichtiger Verliebtheit ihre Lippen berührt, denkt er in großer Zuneigung an seinen verstorbenen Hund Rex.
»Meine erste Schwester«, sagt er nach einer Weile, »züchtet Leonberger im Oberengadin, die andere Huskies im Unterengadin. Ich selbst hatte Rex nur zu meiner Freude. Die eine, die Fromme,sieht immer ganz streng in die Ferne, wenn man von einer anderen Religion als ihrer eigenen spricht, die zweite Schwester, die so gerne Fleisch ißt, macht dasselbe Gesicht, wenn man die industrielle Brutalität von Schlachthöfen erwähnt. Und nun, Agnes, kommt die Pointe: Beide, die Fromme und die Fleischesserin, haben, die eine im Oberengadin, die andere im Unterengadin, je zwei Freundinnen, die ganz allein in einem alten, vornehm renovierten Gemäuer wohnen und alle fünf Jahre ein Gedichtbändchen veröffentlichen. Sie sagen, das sei keine Seltenheit in der Schweiz.«
Seit vielen Jahren hat er sich zum ersten Mal wieder getraut, auf eine bestimmte, sehr virile Art mit den Fingern zu schnipsen.
Später erzählt ihm Agnes: »Timo, es ist ja nicht nur so, daß ich einen Priester, einen richtigen Priester zum Bruder habe, ich habe noch einen, der ist tot, ermordet, und war Zuhälter in Wien.«
Herr Brück schmunzelt sie eine Weile mit ganz leicht feucht gewordenen Augen an. Schließlich sagt er. »Du bist also ein Mischling, Agnes. Mischlinge sind die besten von allen. Warum bin ich eigentlich auf dich hereingefallen? Weil du mich sofort so freundlich angelacht hast. Es war, als würden wir uns schon lange kennen. Ein berühmt-berüchtigtes Gefühl.«
Kein Wunder, sagt sich Agnes, ich habe ihn mit einem alten Bekannten verwechselt, weil ich mir Gesichter so schlecht merken kann. Ein Glück, daß ich nicht »Hallo, Rolf, nein so was, du hier, was für eine Überraschung!« gerufen habe. Es lag mir ja schon auf der Zunge.
Und jetzt aber: Wie tief ihr Rückenausschnitt ist!
Zwei Wochen später
Vierzehn Tage später – bald soll es vielleicht nach Paris gehen, womöglich auch nach Wien zum Grab des Bruders und in die Schweiz zu den züchtenden Schwestern – fahren Timo Brückund Agnes Dillburg auf der A 24 Richtung Osten an den Wutzsee, sehen am Himmel herrliche Gewittertürme und an den Rändern nichts als blaue Lupinen und Wiesenkerbel. Wären ihre Augen das Durstigste an ihnen, würden sie das viele Grün einfach wegschlürfen.
Timo erzählt Agnes, die ihn zum Spaß manchmal Tomi nennt, daß er einmal im Unterengadin einen kleinen Hund kennengelernt hat, ein Kerlchen mit unwiderstehlichem Gesicht. Ein Terrier war’s, schon dreizehn Jahre alt, munter bis dorthinaus. Der Besitzer habe gesagt: »Eigentlich geht er auf Füchse und Dachse, ein tüchtiger Jäger von Natur aus und begabter Aufspürer von Pilzen!« In der Nacht, gesteht Brück seiner Freundin, träumte er dann, der Fuchs habe von den Wiesen die Begrenzungsdrähte gestohlen und damit für sich ein Warnsystem gegen den Feind ausgeklügelt und aufgebaut.
Plötzlich weiß Agnes, daß sie ihn liebt. Ein bißchen muß sie allerdings lachen. Auch wenn sie es sich eigentlich nicht eingestehen will: Sein Kuß schmeckte nach geräucherter Wurst, falls sie sich nicht sehr täuscht, und es macht nichts.
Pratz an seinen Verleger
Immenstadt. Was kotzen sie mich an, diese weiblichen und männlichen Klageweiber der Literatur, diese
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