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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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entwickeln können, nur damit er als allmächtiger Parfümeur und Deuter zeigen konnte, wo Bartel den Most holt. War ihm seine ebenfalls intellektuelle Frau nicht eines Tages durchgebrannt, weil es zwischen ihnen nicht mehr die geringsten Mißverständnisse gab? »Doofmann«, sagte Pratz laut und extra altmodisch. Er hatte, um sich einen Spaß zu machen, damals den Ideologen zu einer sehr teuren Flasche Wein eingeladen. Der Flegel soff das erstklassige Zeug, ohne die Miene zu verziehen, ohne Dank sturheil weg, gerade so, als böte er selbst so was allenfalls seinem Gärtner in der Mittagspause an. »Vortrefflichster und Allerwertester, schmeckt’s Euer Gnaden?« hatte er den Affen schließlich gefragt und im Aufstehen hinzugefügt: »Kritisier’ ich Ihren Trinkstil? Nicht die Bohne. Sollte ich? Kein Interesse, es sei denn, es läge mir höheren Ortes ob! Wehgemut geh ich von dannen, o Gevatter.« Guter Abgang! Nur taten ihm diesmal beim Lachen Brust oder gar Herz weh.
    Wie er, Pratz, lästigerweise plötzlich wieder die Einzelheiten wußte! In diesem Winter wolle er Gälisch lernen, hatte sein Gast behauptet. Für seinen Nietzsche-Vortrag am Vorabend habe er sich »erst nach dem Fünfuhrtee ein paar Notizen gemacht«. Sein sexueller Appetit, im Vertrauen, nehme noch immer zu, es komme ihm wie das Pinkeln. Dabei sei er, dem Himmel sei’s geklagt,ein alter Knochen. Hier hatte der lausige Kerl wahrhaftig lauschend den Kopf gehoben, ob niemand die Höflichkeit besäße zu widersprechen. Der Himmel aber schwieg, und Pratz nickte erbarmungslos. Er erinnerte sich, daß der Mensch die Gewohnheit hatte, auf Fotos die Hände vor sein Geschlecht zu halten, als gelte es, darunter eine kolossale Wunderwaffe zu verbergen, vor der er die Frauen schonen wollte – um dann seine bekloppten Feinsliebchen, von ihm aufgestachelt, phantastischen Illusionen zu überlassen. Vermutlich versteckte sich hinter so viel phallischer Demagogie ein Debakel.
    Plötzlich war Pratz stolz darauf, sich selbst in der heißesten Zeit seiner Prominenz nicht zum Kanzelredner gebläht zu haben, wie es die allermeisten seiner Branche schon in jungen Jahren tun, sobald sie merken, daß ihnen zugehört wird.
    Das interessierte ihn jetzt ein Weilchen. Die Berge vor den Hotelfenstern damals taten es nicht mehr. Auf den Gipfeln war es ernüchternd wie, in der Waagerechten, an den Enden von Seen, die doch verheißungsvoll für immer neue Dummköpfe mit Namen wie Zürich oder Luzern begannen. Nimm’s ruhig symbolisch! knurrte Pratz sich zu. Hatte damals nicht übrigens im Frühstücksraum des Hotels eine sanfte Frau gesessen, der man auf Anhieb eine große Begabung zur Zärtlichkeit zutraute, zwischen vierzig und fünfzig, und nur er, Pratz, ahnte als einziger von all den Einfaltspinseln drum herum, wie leicht der Typ unter seiner Tarnung wild zu entfachen wäre, ja womöglich, ohne es selbst zu wissen, darauf wartete? Er, Pratz, glaubte in Wirklichkeit nicht an solche Klassifizierungen, aber sie bereiteten ihm Vergnügen. Inzwischen eigentlich nicht mehr. Längst vorbei die bewährte Dreifelderwirtschaft Beruf, Familie, Liebschaftenallerlei.
    Den Ort Immenstadt aber hätte er so prall heimatkundlich und herzhaft heimatliebend beschreiben sollen, daß Leute, die noch nie dort waren, ihn als ihre eigentliche, verpaßte Heimat, wie keine Stelle sonst auf Erden ansehen würden. Was wäre das fürein tolles Experiment gewesen, das außerdem Immenstadt nach seinem Tod zu einem Pilgerort für ihn, Pratz, gemacht hätte!
    Es ging ihm immer schlechter. Das lag an der riesigen Brandungswoge, die sich, massig herangewälzt, unbeeindruckt von seinem hektischen Innengeschwätz, auftürmte und allen Anstand, alle Selbstzivilisierung auslöschte, schon bevor sie über ihm als tödliche Angst zusammenbrechen würde. Krepier! Kratz ab! Gib den Löffel ab! Geh zuschanden! »Ich weiß, was ich weiß«. Dabei hatte er doch, von Entwicklung wollte er gar nicht erst reden, die Regionen der inneren Feldmark keineswegs schon alle abgeschritten.
    Miniatur?
    Das ganze Leben lang nur Stimmen nachgeahmt und allein dafür das Leben ausgehorcht, in jedem Moment?
    Selbst das, was man von den meisten verstorbenen Kollegen las, war im Grunde abstoßend, auch wenn Pratz die Schwäche vieler Menschen teilte, noch lebenden Autoren, kaum trat man ihnen einzeln gegenüber, verlogene Komplimente zu machen. Und doch, und doch: Waren unter ihren Sätzen nicht einmal Kometen für ihn gewesen?
    Die

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