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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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provozieren und gleichzeitig Elsa ein Angebot zu machen, angefügt. »Ich lebe in offener Ehe!« Es fehlte nur noch, daß er »statt dessen« gesagt hätte.
    Offenbar ahnten diese Leute (nicht gläubig, aber infantil abergläubisch) gar nicht, wie typisch sie sich in solchen Momenten verhielten.
    »Nicht deshalb werden Sie in die Hölle kommen«, hatte Dillburg geantwortet, sehr wohl im Bewußtsein, die Reihenfolge der Wörter unzulässig vertauscht zu haben.
    Und wir aber, fragte er sich draußen, versuchen wir nicht, den Ewigen zu beschwichtigen und durch das Bild in unsere Fänge zu ziehen und sind doch im besten Fall nur der Arm von Grünewalds greisem Eremiten Paulus, der sich als ausgezehrte, dürstende Seelengestalt dem tröstlichen Gesprächspartner Antonius, mehr aber noch dem in vielerlei Gnadennerven herabströmenden Himmel entgegenreckt?
    Diese Halunken, sagte sich dagegen Pratz, haben eine Umwandlungsmaschine im Kopf. Alles wird, bevor es ihnen ans Fell kann, von ihrer biblischen Grundgeschichte gefiltert und so sortiert, daß es ihnen nichts Schlimmes tut.
Irrungen/Wirrungen
    In der Jugendherberge waren dagegen bereits am vorausgegangenen Montag zwei neue, lärmende Gruppen eingetroffen, eine Klasse mit Kindern, unter denen sich auch Ilse befand und die der »Jugendlichen«. Zu ihnen gehörte Philipp, der Sohn des Schriftstellers Pratz. Man nahm keine Notiz voneinander wegen des ungünstigen Altersunterschieds.
    »Nichts ähnelt eher der Hölle als ein halb ausgeweideter Mediamarkt«, hörte Ilse Philipp am Dienstag rufen. Wie er die hellen Haare zurückwarf, wie er den Arm vorschießen ließ, um auf die Uhr zu sehen! Wie er spöttisch den Mund schief zog! Am Mittwoch belauschte sie, daß ihn ein anderer Junge aufgeregt fragte, ob das große rötliche Haus am Jürgens-Park, in der Nähe ihrer Schule, etwa seiner Familie gehöre. Philipp knurrte mit mürrischem Gesicht: »Mich interessiert nicht, wem welches Haus in unserer Familie gehört.« Am Donnerstag: »Wenn sie schon offiziell die Demokratie nicht abschaffen können, dann betreiben sie eben die systematische Verblödung der Massen, Massen, die sich wonnevoll als Masse fühlen, einzelne, die in den Mutterschoß der Masse zurückkehren. Das antike Rezept funktioniert.« Ilse verstand ihn nicht ganz. Aber wie unerhört diese Sätze, von seiner Stimme gesprochen, klangen und dröhnten! Sie spürte plötzlich, daß sie aus lauter beweglichen Teilchen bestand, die sich jetzt auf eifrige Wanderschaft durch ihren Körper begaben.
    Am Freitag reisten alle ab. Niemand ahnte, daß Ilse, angefangen vom ersten Ansichtigwerden des Jungen, ein großes Glück erfahren hatte und daß fast im selben Moment ein großes Leiden für sie begann. Beides hielt wochenlang an.
    Vierzehn Tage später fiel am Eßtisch sein Name. Das Mädchen spürte erschrocken sein Erröten. Jetzt würde sie überall, sogar unter Hemd und Hose, die Farbe wechseln. Die gesamte Welt geriet davon in Brand. Es merkte aber sonst keiner etwas, keiner.Auch ging es dann in Wirklichkeit um einen Philipp Müller oder Philipp Möller.
    Das half Ilse jedoch nicht aus ihrer einzelnen Not.
    So ähnlich ist es Elsa ja selbst früher einmal ergangen, als sie ein etwas älteres Kind war. Jemand sagte am Tisch das Wort »Koordination«, sie aber verstand im ersten Moment »Kohabitation«, ein Ausdruck, den sie erst zwei Tage vorher im Lexikon nachgesehen hatte. Vor Schreck war sie hinter ihren Händen rot geworden. Da griff eine andere Stimme Elsa an: »Heute brennen die Ziegeldächer noch röter als sonst.« Nun mußte sie auf ewig mit diesem Menschen verfeindet sein, obwohl die Dachschindeln, sah sie später, wirklich so stark wie das Weinlaub glühten.
Rätsel
    Durch welche Sorte von Tat oder Untat lassen sich innerhalb von wenigen Stunden ein Rentner, der seinen neuen Hund ausführt, eine joggende Mutter mit Kind auf dem Arm, ein Banker mit einem Mobiltelefon am Ohr und einem Becher Kaffee am Mund, zwei hopsende kleine Mädchen in rosa Tüllkleidern, eine dicke Frau auf dem Weg zur körperlich gleichgesinnten Aschentonne, ein Mann beim Heckenschneiden, ein singender Radfahrer, ein Omnibusschaffner, der gerade eine Zigarette raucht, und ein armer, fast zahnloser Straßenmusikant schlüssig (wenn das Wort hier erlaubt ist) miteinander für alle Zeit verbinden, ja miteinander verschweißen?
    Hilfe: Kürzlich ist es einem Amerikaner, bis dahin immer hilfsbereit, zurückhaltend, zuvorkommend, gelungen. Wir

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